Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
Umständen kam es ihr unangemessen vor, das Kloster wegen der Feierlichkeiten zu verlassen.
Wieso eigentlich? Was nutzt es denn, hierzubleiben?
Sie verspürte eine tiefe Traurigkeit. Obwohl sie es hasste, dass das Gebäude der Abrissbirne zum Opfer fallen sollte, hatte sie alles darangesetzt, den Umzug des Waisenhauses zu ermöglichen und den heutigen Abend mitzugestalten.
Es war ihr ein Rätsel, wie der Chor ohne Schwester Louise auftreten sollte. Aber mit Gottes Beistand würden die Frauen es schon schaffen. Doch alle machten sich Sorgen um ihre verschwundenen Schwestern, waren nervös durch die neuerliche Suchaktion und die Fragen der Polizei.
Schwester Charity senkte den Blick und stellte fest, dass sie die Hände rang. Sogleich fing sie sich einen warnenden Blick von Vater Paul ein. Gerade heute, dachte sie, war er wirklich unausstehlich, unbeugsam und penetrant, obwohl er doch eigentlich freundlich und verständnisvoll hätte sein sollen.
Könnte man das nicht auch von dir behaupten, Charity? Warst nicht gerade du stets für deine strenge Führung bekannt, warst immer der Kapitän dieses Schiffes? Während die Priester die Admiräle waren, die aus der Ferne arbeiteten, hast du deine Matrosen mit eiserner Hand gelenkt, du hast diesen Nonnen den Weg gewiesen. Warst du immer freundlich? Verständnisvoll? Ist womöglich gerade deine Unnachgiebigkeit zu deiner Achillesferse geworden, zu dem Leck, das dein Schiff zum Sinken bringt? Wer wird dafür bezahlen? Du? Oder diejenigen, die unter deiner Führung an den Rudern saßen, die jungen, unschuldigen Frauen, die hierherkamen, um sich dir anzuvertrauen? Sie sind wahrhaftig deine »Schwestern«, Charity, denn du hast keine anderen, und du wirst niemals andere haben.
Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter und straffte den Rücken. Jetzt war nicht die Zeit für einen Rückblick oder irgendwelche Zweifel.
Ihr Blick wanderte zu Vater Paul, einem verzweifelten Priester, der seine Herde versammelt hatte, neben sich den bleichen, verunsicherten Vater O’Toole. Anders als der so leidenschaftlich bewegte Vater Paul schien der Jüngere die Zeremonie lediglich hinter sich bringen zu wollen.
Vater Frank O’Toole, so hatte sie den Eindruck, war in Gedanken mehrere tausend Lichtjahre entfernt.
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Kapitel achtundvierzig
N ur fürs Protokoll: Ich halte das für einen Riesenfehler«, sagte Slade. Er mühte sich mit seiner Krawatte ab, schnitt Grimassen vor dem Spiegel und versuchte, Val die Teilnahme an der Wohltätigkeitsauktion auszureden, doch sie war nicht davon abzubringen.
»Ich weiß, du hast es jetzt schon hundertmal gesagt.« Sie war bereits fertig angezogen und hatte das Haar zu einem Knoten hochgesteckt. »Lass mich das machen«, sagte sie und band seine Krawatte. Ihr Blick fiel auf den großen Spiegel, der in einer Ecke des Schlafzimmers stand. »O Gott«, sagte sie und grinste ihr Spiegelbild an. »Das sind so ganz und gar nicht wir!«
Er warf ebenfalls einen Blick in den Spiegel und grinste: sie in dem schmalen, bodenlangen Kleid – schwarz, weil sie in Trauer war –, er in dunkler Hose, weißem Hemd, Jackett und Krawatte, das Haar gekämmt und sauber rasiert.
Ziemlich weit entfernt von den staubigen Jeans und verwaschenen Arbeitshemden, die sie beide auf der Ranch getragen hatten. Sie hatte jedoch eine kleine Tasche mit einer Taschenlampe, Tennisschuhen und bequemerer Kleidung gepackt. Val hatte nämlich vor, sich während der Auktion im Kloster umzuschauen und mehr über ihre leiblichen Eltern herauszufinden – wenn es das war, dem Camille auf der Spur gewesen war.
Slade hatte sie nichts von diesem Plan erzählt, wollte sich seine Einwände ersparen. Nicht dass diese nicht berechtigt gewesen wären, vor allem nicht nach dem Anruf,
Du bist die Nächssssste!,
und erst recht nicht, nachdem zwei weitere Novizinnen verschwunden waren. Val hatte vorhin mit Bentz telefoniert, und er hatte ihr mitgeteilt, dass man bislang noch keine Leichen gefunden hatte und dass Schwester Lucy vermutlich noch am Leben war.
Als Slade davon erfuhr, weigerte er sich schlichtweg, die Auktion zu besuchen, doch Val sagte, dass sie auf jeden Fall daran teilnehmen würde, ganz gleich, ob mit oder ohne ihn. Zähneknirschend hatte er nachgegeben. »Du wirst nicht allein dorthin gehen«, hatte er gesagt und ihre Bemerkung, es seien schließlich Hunderte von Gästen da, beiseitegewischt.
Entscheidend war, dass es mehrere Tote gegeben hatte, und auch wenn die Polizei
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