Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
noch einmal nach Schwester Camilles Puls gefühlt. Anschließend haben wir zusammen für sie gebetet.« Lucias Stimme wurde rauh, ihre Nase rötete sich, und Tränen füllten ihre Augen. »Und dann … dann … ein paar Minuten später hörte ich Sirenen, und Sie sind eingetroffen.« Sie atmete tief ein, wickelte sich, so fest es nur ging, in ihren Umhang und schwieg.
»Du hast die Leiche gefunden?«, fragte Montoya.
»Ich habe ihm schon alles erzählt«, sagte sie und blickte auf Amos.
Doch Montoya würde sich nicht abwimmeln lassen. »Dann setz mich schnell auch mal ins Bild.«
Sie schien in sich zusammenzufallen, aber dann holte sie Luft und berichtete ihm ihre Version der nächtlichen Geschehnisse. Nachdem die Mutter Oberin auf ihre Hilferufe hin erschienen war, hatte sie die Polizei gerufen, war im Kreuzgang Vater Frank begegnet, hatte Vater Paul geweckt und war schließlich mit beiden Priestern in die Kapelle zurückgekehrt.
»Sie haben ausgesagt, Sie hätten kurz nach Ihrer Ankunft jemanden die Kapelle verlassen sehen«, unterbrach Amos.
»Ich … ich glaube schon.«
»Du bist dir nicht sicher?«
»Nein … ich schlafwandele manchmal, also … könnte ich mir das auch nur eingebildet haben.«
»Augenblick mal. Du schlafwandelst?«, hakte Montoya nach. »Das hast du vorhin aber nicht erwähnt.«
»Nein, ich weiß. Es ist so etwas in der Art, aber … anders. Schwer zu erklären.« Sie sah aus, als würde sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen.
»Aber Sie haben gehört, wie in der Kapelle eine Tür zufiel«, beharrte Amos, der vor nichts zurückschreckte, nicht einmal den Tränen einer Frau.
Lucia wirkte verwirrt. Und völlig verängstigt. »Ich glaube schon.«
Nicht gerade eine verbindliche Aussage, dachte Montoya. Er hatte Lucia nie näher kennengelernt, obwohl einer ihrer älteren Brüder, Pedro, mit ihm in eine Klasse gegangen war. Was hatte Cruz an ihr so fasziniert? Nicht allein ihr Äußeres, sondern vielmehr, so erinnerte er sich jetzt, dass sie eine außersinnliche Wahrnehmung zu haben schien. Vielleicht hatte sich Cruz das auch nur ausgedacht. Montoyas jüngerer, unbändiger Bruder war dafür bekannt gewesen, dass er gern Lügenmärchen erzählte.
Mittlerweile war Bentz zu der kleinen Gruppe getreten. Montoya und Amos stellten Lucia ein paar weitere Fragen, dann zogen sich Bentz und Montoya zurück und überließen es Amos, die Vernehmung zu Ende zu bringen.
»Na prima«, bemerkte Bentz. »Weshalb haben dein Bruder und sie sich getrennt?«
»Ein Autounfall. Cruz saß am Steuer. Hat sie um ein Haar beide das Leben gekostet.« Doch hinter der Story steckte noch mehr, vermutete Montoya. Er wusste nicht, was, denn er war gerade erst mit dem College fertig gewesen, als der Unfall passierte.
Sie traten durch die Seitentür in den Verbindungsgang zwischen Kapelle und Konvent, wo die Mutter Oberin noch immer von einer uniformierten Beamtin vernommen wurde.
Schwester Charitys Stimme klang gedämpft und wohlmoduliert, trotz der Tragödie. Im schummrigen Licht der Wandleuchter wirkte sie sehr viel jünger als sechzig. »Ich habe Miss Erwin bereits alles gesagt, was ich weiß.« Ihre leisen Worte hatten einen harten Unterton.
»Wir werden jeden vernehmen müssen, der sich zum fraglichen Zeitpunkt im Gebäude aufgehalten hat«, ließ sich Officer Erwin vernehmen.
Die ältere Frau schüttelte langsam den Kopf. »Alle haben geschlafen. Ich verstehe nicht, was Ihnen das nutzen sollte.«
»Vielleicht hat jemand etwas gehört. Oder war unterwegs zur Toilette. Es besteht durchaus die Chance, dass eine der Nonnen etwas mitbekommen hat«, beharrte Randi Erwin. »Oder jemand Licht auf ein mögliches Motiv für den Mord an Schwester Camille werfen kann.«
»Oh.« Die Mutter Oberin bekreuzigte sich, als würde ihr erst jetzt die Tragweite der Tragödie klar. »Ich werde mit den Frauen reden«, bot sie an. »Vater Paul wird ihnen seinen Beistand anbieten –«
»Es geht hier nicht um Beistand«, sagte Montoya kurz angebunden und fragte sich, ob die Frau tatsächlich so schwer von Begriff war. »Bevor Sie mit ihnen sprechen, wollen
wir
uns mit ihnen unterhalten.«
»Mit jeder einzelnen?« Schwester Charity wirkte erstaunt.
Montoya nickte. »Wir möchten mit jedem reden, der hier lebt, außerdem mit sämtlichen Personen, die sich heute Abend auf dem Klostergelände aufgehalten haben. Die Beamten werden ihre Aussagen aufnehmen.«
»Zudem brauchen wir weitere Informationen über das Opfer«,
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