Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
fügte Erwin hinzu.
»Wir sind ein sehr zurückgezogener Orden«, blockte Schwester Charity ab.
»Wenn jemand aus Ihren Reihen eines gewaltsamen Todes stirbt, ist es vorbei mit der Zurückgezogenheit.« Mit ihren knapp dreißig Jahren war Randi Erwin eine kleine, drahtige und resolute Frau, die nur wenig Make-up und einen kurzen Fransenhaarschnitt trug. Auf dem College war sie Turnerin gewesen, jetzt war sie Kampfsportexpertin und ließ sich nichts bieten, weder von den älteren Kollegen im Department, die sie gern foppten, noch von dieser herrischen Nonne. »Ich brauche eine Liste von den Freunden des Opfers. Fällt Ihnen irgendjemand ein, der einen Groll gegen Schwester Camille gehegt haben könnte?«
»Hier gibt es keine Feinde.« Die ältere Frau rang resigniert die Hände, als sie begriff, dass sie die Polizei nicht abwimmeln konnte.
Bentz schnaubte. »Das glauben Sie doch selbst nicht. Menschen sind Menschen – sie verärgern andere, grollen, suchen Rache, was auch immer. Viele Kriege sind im Namen der Religion geführt worden.«
»Nicht hier«, widersprach Schwester Charity.
»Warum trägt sie dieses Kleid?«
»Ich weiß es nicht.«
»Woher hat sie es?«
Die Mutter Oberin zog die Augenbrauen zusammen. »Auch das weiß ich nicht«, sagte sie, gerade als Officer Chris Conway zu der Gruppe trat.
»Die Presse ist da«, sagte der Beamte. »Ein Reporter von WKAM .«
»Richte ihm aus, er soll auf eine Stellungnahme von Sinclaire warten«, sagte Bentz. Tina Sinclaire war die Informationsbeauftragte, die aktuelle Pressesprecherin des NOPD , welches auf eine ganze Reihe von Pressebeamten zurückblicken konnte. »Und die wird sie erst dann abgeben, nachdem die nächsten Angehörigen informiert worden sind. Wenn sie den Polizeifunk abgehört haben, wissen sie schon, dass es sich um Mord handelt, gib dir also keine Mühe, den Reporter abzuwimmeln, bitte ihn einfach zu warten.«
»Okay.« Der Beamte wandte sich zum Gehen.
Montoya drehte sich zur Mutter Oberin um und bat sie, ihm Camille Renards nächste Angehörige zu nennen. Er konnte sich kaum an ihre Eltern erinnern. War ihr Vater nicht schon älter und bei der Bahn beschäftigt gewesen? Und hatte ihre Mutter nicht als Teilzeitlehrerin gearbeitet?
»Ihre Eltern sind tot. Sie hat eine Schwester, die meines Wissens nach in einer Kleinstadt in Ost-Texas lebt. So aus dem Stegreif kann ich mich nicht an den Namen der Stadt erinnern.«
Doch, es stimmte, was sie sagte: Montoya fiel wieder ein, dass Camille eine Schwester hatte, die ein, zwei Jahre jünger war als er selbst. »Kennen Sie ihren Namen?«
»Veronica oder so ähnlich? Ich weiß es nicht genau, aber ich werde nachsehen.«
Veronica klang nicht ganz richtig, aber Montoya schoss ein bestimmtes Bild durch den Kopf: Sie war größer als Camille, ungefähr eins siebzig, und hatte große, durchdringende Augen. Während Camille stets extrovertiert und kokett gewesen war, hatte er ihre ältere Schwester eher als ruhig und zielstrebig kennengelernt, als jemanden, der keine Dummköpfe oder dummen Teenagerspäße ertragen konnte.
»Hieß sie nicht Valerie?«, fragte er, und die Nonne warf ihm einen scharfen Blick zu. Ihre Mundwinkel wanderten nach unten.
»Ja.« Sie nickte. Ihr Brusttuch bewegte sich. »Valerie. So heißt sie.«
»Wir brauchen ihre Adresse.«
»Natürlich.« Sie blickte auf die Tür, die zur Kapelle führte, und wirkte plötzlich traurig. »Können wir …«, begann sie. Officer Erwin nickte. Gemeinsam kehrten sie in die Kapelle zurück.
Dort wimmelte es von Leuten. Techniker von der Spurensicherung gingen ihrer Arbeit nach und stellten Beweismaterial sicher, Fotos wurden geschossen, Messungen vorgenommen, der Tatort auf Fingerabdrücke untersucht, Luminol zur Sicherung von Blutspuren versprüht, die Kirchenbänke auf Fußabdrücke oder Schleifspuren überprüft. Die Kriminaltechniker arbeiteten mit unermüdlicher Präzision.
»Das ist ein solches Sakrileg«, murmelte die Mutter Oberin mit flehendem Blick. »Wirklich, das muss aufhören. Die Kapelle ist ein heiliger Ort und keine …« Sie streckte beschwörend die Handfläche nach vorn in Richtung des Gerichtsmediziners, der nun gemeinsam mit seinem Assistenten Schwester Camilles Leichnam untersuchte. »Wir folgten strikten Regeln und einem strengen Andachtsplan, und wir dürfen nicht zulassen, dass …« Ihre Stimme brach, und Montoya konnte nicht sagen, ob vor Kummer über den Tod von Schwester Camille, aus Sorge über den
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