Desire - Die Zeit Der Rache Ist Gekommen
und fragte sich, ob auch er gerade den steinigen, schmerzhaften Pfad der Erinnerung beschritt. »Ich habe auch ein Bier da.«
»Das wäre schön.« Er folgte ihr in die Küche, nahm ihr die Flasche Coors ab, die sie ihm hinhielt, und öffnete den Verschluss. Nachdem er einen kräftigen Schluck genommen hatte, kehrten sie ins Wohnzimmer zurück, wo er auf dem kleinen Sofa Platz nahm, während sich Val in ihren Sessel setzte. Sie zog die Beine an und beschloss, dass sie sich ihm wegen Cammie anvertrauen konnte.
»Ich habe gerade mit Detective Montoya gesprochen.«
»Gibt’s was Neues?«, fragte er.
»Keine Antworten«, räumte sie ein, »nur weitere Fragen.« Sie erzählte ihm, dass die Polizei nach einem Handy oder BlackBerry suchte, außerdem nach einem Tagebuch oder Notizheft. »Ich weiß, dass sie ein Telefon hatte, was mir nicht außergewöhnlich vorkam, aber ich habe keine Ahnung, wo es sein könnte. Von einem Tagebuch weiß ich nichts.« Sie ignorierte ihren Tee, der schnell abkühlte, und fügte hinzu: »Das Merkwürdigste ist: Er ist wieder darauf zu sprechen gekommen, dass Camille nach unseren leiblichen Eltern suchte. Ich kann das einfach nicht glauben. Wir wussten immer, dass unsere Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen sind. Sie waren mit unseren Adoptiveltern verwandt. Nadine und Gene haben uns ihre Gräber gezeigt.«
»Und du hast das nie hinterfragt?«
»Nein, niemals.« Sie schüttelte langsam den Kopf und griff nach ihrer Tasse. »Wir waren noch sehr jung, als wir adoptiert wurden, und ich hatte nie Grund zu der Annahme, dass unsere leiblichen Eltern gar nicht tot waren.«
»Du nicht, aber offenbar Camille.«
»Anscheinend.« Valerie überlegte. »Aber das ist verrückt. Ich meine, Nadine und Gene haben nie ein Geheimnis daraus gemacht. Wir wussten, dass wir adoptiert waren und woher wir kamen«, sagte sie.
»Bist du dir sicher?«
»Natürlich.« Sie nahm einen Schluck Tee. Die Schlüsse, die sie zog, gefielen ihr gar nicht. »Sie haben es mir oft gesagt …«
»Und dir ist nie in den Sinn gekommen, dass die Renards gelogen haben könnten?«, fragte Slade und zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe.
Val sah den Zweifel in seinen Augen und wandte sich ab. Das musste ein Irrtum sein. Unbedingt. Wie oft hatte ihre Mutter, Nadine, die Geschichte von ihrer Adoption erzählt, von dem Papierkrieg, den sie hatten erledigen müssen, bis sie Valerie und Camille ihre eigenen Kinder nennen durften! Sie dachte an ihren Vater, wie er am Küchentisch saß und wieder und wieder erzählte, wie er mit dem Gemeindepriester gesprochen und verlangt hatte, seine »Blutsverwandten« adoptieren zu dürfen.
»Ich war heute da«, sagte Slade und holte Valerie damit in die Gegenwart zurück.
»Wo? In St. Elsinore?«, fragte sie erstaunt. »Warum?«
»Ich musste Zeit totschlagen.«
»Offenbar jede Menge. St. Elsinore ist nicht gerade um die Ecke«, dachte sie laut und erinnerte sich an die weißgekalkte Kirche und die hohen Mauern, die das Waisenhaus und den Spielplatz der dazugehörigen Konfessionsschule umgaben. Der Glockenturm war leer gewesen und genauso verfallen wie die übrigen Gebäude, weshalb in St. Elsinore niemals Glocken läuteten.
Slade zuckte mit den Schultern. »Das Kirchenbüro war geschlossen. Aber ich habe das hier gefunden.« Er reichte ihr einen Handzettel, auf dem die bevorstehende Wohltätigkeitsveranstaltung angekündigt wurde – ein Galadiner, bei dem Geld für das neue Waisenhaus gesammelt werden sollte.
»Und was war der Grund für deinen Besuch dort?«
»Zunächst einmal hast du mir deutlich zu verstehen gegeben, dass du ein wenig Freiraum für dich brauchst. Deshalb habe ich beschlossen, mich zurückzuziehen und mir ein paar der Orte anzusehen, von denen du mir erzählt hast. Orte aus deiner Vergangenheit. Ich bin bei eurem alten Haus vorbeigefahren und bei den verschiedenen Schulen.«
Vals Haut kribbelte, und sie spürte, wie sie Gänsehaut bekam. Sie versuchte, ein freundliches Gesicht, eine handfeste Erinnerung heraufzubeschwören, aber alles, was ihr einfiel, waren verschwommene Bilder und das Gefühl von Verwirrung und Furcht. Sie verstand damals nicht, was mit ihren Eltern passiert war, und machte sich Sorgen um ihre kleine Schwester. Da waren Hände gewesen, die sie berührt hatten, versucht hatten, sie zu beruhigen, körperlose Stimmen, die ihr erklärten, dass ihre Eltern tot waren. Sie erinnerte sich an die Gesichter von Fremden, erfüllt von Mitleid und
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