Désirée
zuzuknöpfen. »Bist du wahnsinnig geworden, Jean-Baptiste? Es ist doch Nacht!« »Beeile dich, ich habe auch Oscar wecken lassen! Ich will, dass das Kind dabei ist!« Schritte und Stimmen im Erdgeschoss. Yvette schlüpfte herein, sie hatte in aller Eile ein Zofenkleid über ihr Nachthemd geworfen, eines meiner abgelegten. Es schleifte über den Boden. »Bitte, beeile dich! So helfen Sie doch der Fürstin!«, kam es ungeduldig von Jean-Baptiste. »Um Gottes willen – ist etwas geschehen?«, stieß ich entsetzt hervor. »Ja oder nein. Du wirst alles selbst hören. Zieh dich doch endlich an!«
»Was soll ich denn anziehen?«, fragte ich verstört.
»Das schönste Kleid, das du besitzt. Das eleganteste, das kostbarste, verstehst du?«
»Nein, ich verstehe nichts!« Ich war wütend. »Yvette, bringen Sie mir das gelbseidene, das ich neulich bei Hof getragen habe. Willst du mir nicht endlich sagen, Jean-Baptiste –« Aber er hatte mein Zimmer schon verlassen. Mit fliegenden Händen frisierte ich mich. »Das Diadem, Fürstin?«, fragte Yvette. »Ja, das Diadem«, sagte ich zornig. »Bringen Sie mir die Schmuckkassette, jetzt behänge ich mich mit allem, was ich besitze! Wenn man mir nicht sagt, was geschehen ist, so weiß ich auch nicht, was ich anziehen soll! Und das Kind aufwecken, mitten in der Nacht …«
»Bist du endlich fertig, Désirée?«
»Wenn du mir nicht endlich sagst, Jean-Baptiste –«
»Etwas Rouge auf die Lippen, Fürstin«, flüsterte Yvette. Im Toilettenspiegel gähnte mir ein verschlafenes Gesicht entgegen. »Rouge, Puder, schnell, Yvette!«
»Komm endlich, Désirée, wir können sie doch nicht länger warten lassen!«
»Wen können wir nicht warten lassen? Meines Wissens ist es mitten in der Nacht, meines Wissens möchte ich weiterschlafen.« Jean-Baptiste nahm meinen Arm. »Nimm dich jetzt zusammen, kleines Mädchen!«
»Worum handelt es sich denn? Willst du nicht so freundlich sein und es mir endlich sagen?«, fuhr ich ihn an. »Um den größten Augenblick meines Lebens, Désirée.« Ich wollte stehen bleiben und ihn ansehen, aber er hielt meinen Arm fest und führte mich die Treppe hinunter. Vor der Tür des großen Salons schoben uns Marie und Fernand Oscar zu. Oscars Augen funkelten vor Aufregung. »Papa, ist Krieg ausgebrochen? Papa, kommt der Kaiser zu Besuch? Wie schön die Mama angezogen ist …« Sie hatten das Kind in seinen besten Anzug gesteckt und seine ungebärdigen Locken mit Wasser flach gebürstet. Jean-Baptiste nahm Oscar an die Hand. Der Salon war hell erleuchtet. Alle Kandelaber, die wir besitzen, waren aufgestellt worden. Einige Herren erwarteten uns. Jean-Baptiste nahm wieder meinen Arm und ging langsam zwischen dem Kind und mir auf die Gruppe zu. Ausländische Uniformen, blaugelbe Schleifen, funkelnde Ordenssterne. Und ein junger Mann in verstaubtem Waffenrock, die hohen Stiefel über und über mit Kot bespritzt. Er hielt ein sehr großes versiegeltes Schreiben in der Hand. Bei unserem Eintritt verneigten sie sich. Es war plötzlich totenstill. Dann trat der junge Mann mit dem versiegelten Schreiben vor. Er schien viele Tage und Nächte ohne Unterbrechung geritten zu sein, unter seinen Augen lagen Schatten. Die Hand mit dem Schreiben zitterte. »Gustaf FrederikMörner von den Uppland-Dragonern, mein Gefangener aus Lübeck«, sagte Jean-Baptiste langsam. »Ich freue mich, Sie wieder zu sehen. Ich freue mich sehr!« Das war also jener Mörner, mit dem Jean-Baptiste eine Nacht lang über die Zukunft des Nordens gesprochen hat. Seine zitternde Hand hielt Jean-Baptiste das Schreiben entgegen. »Königliche Hoheit –« Mein Herzschlag setzte aus. Jean-Baptiste ließ meinen Arm los und nahm ruhig das Schreiben entgegen. »Königliche Hoheit – als Kabinettskammerherr Seiner Majestät König Carls XIII. von Schweden melde ich gehorsamst, dass der schwedische Reichstag den Fürsten von Ponte Corvo einstimmig zum Thronfolger gewählt hat. Seine Majestät König Carl XIII. wünscht den Fürsten von Ponte Corvo zu adoptieren und als seinen lieben Sohn in Schweden zu empfangen.« Gustaf Frederik Mörner wankte. »Verzeihung, ich bin tagelang nicht aus dem Sattel gekommen«, murmelte er. Ein älterer Mann, die Brust mit Orden bespickt, fasste schnell nach seinem Arm. Da riss sich Mörner zusammen. »Darf ich Eurer Königlichen Hoheit die Herren vorstellen?« Jean-Baptiste nickte unmerklich. »Unser außerordentlicher Botschafter in Paris, Feldmarschall Graf Hans Henrik von
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