Désirée
wieder zum Leben erwecken, der Unfall interessiert ihn doch gar nicht. Wir haben genug eigene Sorgen, wir sind hier in Paris in Ungnade. Jetzt sah ich den hoch gewachsenen Oberst mit der blaugelben Schärpe an, diesen Wrede oder so ähnlich. Auch er ließ keinen Blick von Jean-Baptiste. Schließlich sagte der Untersetzte, dieser Baron Mörner: »Am 21. August wird der schwedische Reichstag einberufen werden, um über die Wahl eines neuen Thronfolgers zu entscheiden.« Wieder entstand eine dieser unbegreiflichen Pausen. »Ich fürchte, wir müssen uns von diesen schwedischenHerren verabschieden, Jean-Baptiste«, meldete ich mich. Die Offiziere verbeugten sich sofort. »Ich bitte Sie nochmals, Seiner Majestät, dem König von Schweden, mein Mitgefühl auszudrücken und hinzuzufügen, wie sehr ich mit ihm und seinem Volk trauere«, sagte Jean-Baptiste. »Ist das alles, was ich mitteilen soll?«, entfuhr es Mörner. Schon halb zum Gehen gewandt, blickte Jean-Baptiste noch einmal einen nach dem anderen an. Zuletzt und sehr lange haftete sein Blick auf dem jungen Grafen Brahe. Der konnte nicht älter als neunzehn sein. »Graf Brahe, ich glaube, Sie gehören einem der vornehmsten schwedischen Adelsgeschlechter an. Deshalb bitte ich Sie, Ihre Freunde und Offizierskameraden daran zu erinnern, dass ich nicht immer Fürst von Ponte Corvo und auch nicht immer Marschall von Frankreich war. Ich bin das, was man in Ihren Adelskreisen einen ehemaligen Jakobinergeneral nennt. Und ich habe als einfacher Sergeant begonnen. Mit einem Wort – ein Parvenu! Ich bitte Sie, daran zu denken, damit Sie es mir –« Er atmete tief, wieder schlossen sich seine Finger schmerzhaft um meinen Arm. »Damit Sie es mir später niemals vorwerfen.« Und sehr schnell: »Leben Sie wohl, meine Herren!« Merkwürdigerweise begegneten wir Talleyrand noch ein zweites Mal an diesem Abend. Sein Wagen hielt nämlich vor den Tuilerien neben dem unseren. Wir wollten gerade einsteigen, als ich ihn auf Jean-Baptiste zuhinken sah. »Lieber Fürst, dem Menschen ist die Gabe der Sprache gegeben, um seine Gedanken zu verbergen«, sagte er. »Aber Sie, mein Freund, machen von dieser Gabe den umgekehrten Gebrauch. Man kann wirklich nicht behaupten, dass Sie den Schweden gegenüber Ihre Gedanken verborgen haben.«
»Muss ich wirklich einen ehemaligen Bischof daran erinnern, dass in der Bibel geschrieben steht: Deine Rede sei Ja, Ja oder Nein, Nein. Und was darüber ist, ist vom Übel.So ähnlich lautet doch das Bibelwort, Herr – Bischof?« Talleyrand biss sich auf die Lippen. »Ich habe nie gewusst, dass Sie geistreich sind, Fürst«, murmelte er. »Es überrascht mich!« Jean-Baptiste lachte hell auf. »Überschätzen Sie nicht die bescheidenen Scherze eines Sergeanten, der gewohnt ist, mit seinen Kameraden am Lagerfeuer zu spaßen.« Plötzlich wurde er ernst. »Haben Ihnen die schwedischen Offiziere gesagt, wer von Seiten des schwedischen Königshauses als Thronfolger vorgeschlagen wird?« »Der Schwager des verstorbenen Thronfolgers, der König von Dänemark, will kandidieren.« Jean-Baptiste nickte. »Und wer noch?« – »Der jüngere Bruder des Verunglückten, der Herzog von Augustenburg. Außerdem hat der abgesetzte König, der jetzt in der Schweiz in der Verbannung lebt, einen Sohn. Aber da der Vater als irrsinnig gilt, so hält man nicht viel vom Sohn. Nun, man wird ja sehen, der schwedische Reichstag wird einberufen. Das Volk kann selbst entscheiden. Gute Nacht, lieber Freund!«
»Gute Nacht, Exzellenz!« Zu Hause begab sich Jean-Baptiste sofort in sein Ankleidezimmer und riss den hohen, reich bestickten Kragen auf. »Ich sage dir seit Jahren, dass du dir den Kragen weiter machen lassen sollst, die Marschallsuniform ist dir zu eng!«
»Zu eng«, murmelte er. »Mein kleines, dummes Mädchen, das nie weiß, was es spricht. Ja, viel zu eng.« Ohne mich weiter zu beachten, ging er in sein Schlafzimmer. – Ich schreibe, weil ich nicht einschlafen kann. Und ich kann nicht einschlafen, weil ich Angst habe. Große Angst vor etwas, das auf mich zukommt und dem ich nicht entrinnen kann. Jean-Baptiste, hörst du mich nicht? Ich habe solche Angst.
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III
NOTRE DAME DE LA PAIX
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Paris, September 1810.
J emand leuchtete mir ins Gesicht. »Steh sofort auf, Désirée – steh auf und zieh dich schnell an!« Jean-Baptiste stand mit einem Leuchter an meinem Bett. Jetzt setzte er den Leuchter nieder und begann sich die Jacke der Marschallsuniform
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