Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
Vom Netzwerk:
lasse die Herren bitten!«
    Ich glaube nicht, dass ein einziger der Schweden meinem Gesicht angesehen hat, wie sehr ich mich vor der Zukunft fürchte. Dem Feldmarschall Graf von Essen, dem treuesten Anhänger des Hauses Vasa, reichte ich die Hand. »Auf Wiedersehen in Stockholm, Hoheit«, waren seine Abschiedsworte. Als ich Julie in die Vorhalle begleitete, begegnete ich zu meinem Erstaunen dem jungen Brahe. »Reisen Sie nicht mit Feldmarschall Graf von Essen nach Stockholm zurück, um die Ankunft meines Mannes in Schweden vorzubereiten?«
    »Ich habe gebeten, vorläufig zum Personaladjutanten Eurer Königlichen Hoheit ernannt zu werden. Mein Ansuchen ist bewilligt worden. Ich melde mich zum Dienst, Hoheit!«
    Hoch gewachsen und knabenhaft schlank, neunzehn Jahre alt, dunkle Augen, die vor Begeisterung leuchteten, Ringellocken wie mein Oscar: Graf Magnus Brahe, Sohn eines der vornehmsten und stolzesten Geschlechter Schwedens. Personaladjutant der ehemaligen Mademoiselle Clary, Seidenhändlerstochter aus Marseille. »Ich möchte um die Ehre bitten, Königliche Hoheit nach Stockholm begleiten zu dürfen«, fügte er leise hinzu. Und wagen sollen sie es, die Nase über unsere neue Kronprinzessin zu rümpfen, wenn ein Graf Brahe ihr zur Seite steht, dachte er deutlich. Wagen sollen sie es! Ich lächelte:»Danke, Graf Brahe … Aber – sehen Sie, ich habe noch nie einen Adjutanten gehabt, ich weiß gar nicht, womit ich einen jungen und vornehmen Offizier beschäftigen soll.« »Es wird Eurer Königlichen Hoheit schon etwas einfallen«, tröstete er. »Und bis dahin kann ich ja mit Oscar – Pardon, dem Herzog von Södermanland Ball spielen!«
    »Vorausgesetzt, dass keine weiteren Fensterscheiben mehr eingeschlagen werden«, lachte ich. Zum ersten Mal ließ meine Angst nach. Vielleicht ist das Ganze doch nicht so furchtbar.
    Wir waren für elf Uhr vormittags zum Kaiser bestellt.
    Fünf Minuten vor elf Uhr betraten wir den Vorraum, in dem Napoleon Diplomaten, Generäle, ausländische Fürsten und inländische Minister stundenlang warten lässt. Bei unserem Eintritt wurde es totenstill. Alle starrten auf Jean-Baptistes schwedische Uniform und wichen vor uns zurück. Wirklich – sie wichen geradezu vor uns zurück, während Jean-Baptiste einen der Adjutanten des Kaisers ersuchte, den »Fürsten von Ponte Corvo, Marschall von Frankreich, mit Gemahlin und Sohn« anzumelden. Dann fühlten wir uns wie auf einer Insel. Niemand wollte uns kennen. Niemand gratulierte. Oscar drückte sich dicht an mich, und die mageren Bubenfinger krallten sich in meinem Rock fest. Alle Anwesenden wussten, was geschehen war. Ein fremdes Volk hat vollkommen freiwillig Jean-Baptiste eine Krone angeboten. Und drinnen auf dem Schreibtisch des Kaisers liegt ein Gesuch um Entlassung aus dem französischen Staatsverband, um Entlassung aus der Armee. Jean-Baptiste Bernadotte wünscht, nicht länger französischer Bürger zu sein. Scheue Blicke streiften uns. Geradezu unheimlich waren wir ihnen. Bei Hof wusste man, dass uns drinnen im Arbeitszimmer ein furchtbarer Auftritt erwartete, eine jener Tobsuchtszenen desKaisers, bei denen die ehrwürdigen Wände erzittern und der Mörtel von den Säulen rieselt. Gottlob, dass er einen immer stundenlang warten lässt, dachte ich und sah Jean-Baptiste von der Seite an. Der betrachtete einen der beiden Wachtposten vor der Tür des Kaisers. Starrte die Bärenfellmütze an, als ob er sie zum ersten Mal sehen würde. Oder zum letzten Mal. In diesem Augenblick schlug es elf. Meneval, der Privatsekretär des Kaisers, erschien. »Seine Majestät lässt den Fürsten von Ponte Corvo mit Familie bitten!«
    Das große Arbeitszimmer des Kaisers ist beinahe ein Saal. Am Ende dieses Saales steht der große Schreibtisch. Und ein endlos langer Weg scheint von der Tür zu diesem Schreibtisch zu führen. Deshalb empfängt der Kaiser seine Freunde meistens in der Mitte des Raumes. Wir jedoch mussten den ganzen Saal durchschreiten. Unbeweglich wie eine Statue saß Napoleon hinter dem Schreibtisch, etwas vorgeneigt, lauernd. Jean-Baptistes Sporen klirrten dicht hinter mir, während ich mit Oscar an der Hand auf den Schreibtisch zuging. Jetzt konnte ich seine Gesichtszüge unterscheiden. Napoleon hatte die Cäsarenmaske angelegt, nur die Augen schillerten. Hinter ihm standen Graf Talleyrand, Herzog von Benevent, und der gegenwärtige Außenminister, der Herzog von Cadore. Und hinter uns schlich Meneval auf leisen Sohlen. Zu dritt standen

Weitere Kostenlose Bücher