Désirée
Königin ins Gesicht. Diesen Brief hat Oscar ohne Aufsicht seines Erziehers geschrieben, er ist ganz klein zusammengefaltet und einfach mit »Dein Oscar« unterzeichnet. In seinem zweiten Schreiben drückt sich mein Sohn gewählter aus. Er berichtet: »Eine berühmte französische Schriftstellerin, die vom Kaiser der Franzosen verbannt wurde, weil sie gegen seinen Despotismus geschrieben hat, ist hier angekommen und wird oft von Papa empfangen. Sie heißt Madame de Staël und nennt Papa den Retter Europas. Die Dame ist sehr dick (durchgestrichen, ›beleibt‹ darüber geschrieben) und redet ununterbrochen. Papa bekommt nach jedem ihrer Besuche Kopfschmerzen. Papa arbeitet nämlich sechzehn Stunden am Tag und hat das schwedische Heer neu organisiert.« Mademoiselle George. Madame de Staël. Eine russische Großfürstin wartet … Der zweite Brief Oscars war formvollendet unterzeichnet: »Dein dich stets liebender Sohn Oscar, Herzog von Södermanland.« Ich suchte einSchreiben von Jean-Baptiste. Er muss doch längst meinen Brief über Napoleons Besuch und Angebot erhalten haben. Aber ich fand nur ein paar hastig hingekritzelte Zeilen. »Mein geliebtes kleines Mädchen! Ich bin mit Arbeit überlastet und schreibe nächstens ausführlicher. Danke für deinen Bericht über den Besuch des Kaisers. Ich werde dem Kaiser antworten. Aber ich brauche Zeit. Meine Antwort wird nicht nur für ihn, sondern auch für die französische Nation und die Nachwelt bestimmt sein. Ich weiß nicht, warum er wünscht, dass ich sie durch dich überreichen lasse. Ich werde sie dir jedoch senden und bedaure, dir neuerlich eine schwere Stunde bereiten zu müssen. Es umarmt dich – dein J. B.« Zuletzt fiel noch ein Notenblatt aus dem großen Umschlag. »Oscars erste Komposition. Ein schwedischer Volkstanz. Versuche, die Melodie zu spielen! J. B.«, war an den Rand gekritzelt. Eine einfache Melodie, die mich an Walzertakte erinnert. Ich setzte mich gleich ans Klavier und spielte sie immer wieder. »Komponist will ich werden. Oder König …« Das war im Reisewagen, der uns von Hannover nach Paris zurückbrachte. »Warum König?« – »Weil man als König viel Gutes tun kann.« Ja, Oscar, man kann auch vor Entscheidungen stehen, die einem das Herz brechen und einer Nation das Genick. »Komponist oder König«, wiederholte mein Kind. »Dann lieber König, das ist leichter!« Ich las noch einmal Jean-Baptistes hingekritzelte Zeilen. »Meine Antwort wird nicht nur für ihn, sondern auch für die französische Nation und die Nachwelt bestimmt sein.« Mir fiel plötzlich dieser unfrisierte Monsieur van Beethoven ein. »Zur Erinnerung an eine Hoffnung, die nicht in Erfüllung gegangen ist …« Ich läutete und ließ den Grafen von Rosen rufen. Der Kurier hatte auch ihm Post gebracht. Er hielt beim Eintreten noch ein ganzes Bündel Briefe in der Hand. »Gute Nachrichten von zu Haus, Graf?«
»Die Briefe sind sehr vorsichtig geschrieben, man weiß ja nie, ob die französische Geheimpolizei einen Kurier durchlässt oder nicht. Aber zwischen den Zeilen –«
»Zwischen den Zeilen?«
»– kann ich herauslesen, dass die Alliierten – Russland, England und Schweden – die Absicht haben, Seine Königliche Hoheit den Plan für den kommenden Feldzug entwerfen zu lassen. Und Österreich, das sich durch den Botschafter Graf Neipperg in Stockholm vertreten lässt, ist über alles genau informiert und steht den alliierten Plänen sehr wohlwollend gegenüber.«
Also auch sein Schwiegervater, der österreichische Kaiser Franz, wird gegen Napoleon ins Feld ziehen. »Die besetzten deutschen Gebiete bereiten eine Erhebung vor«, sagte Graf von Rosen. »Vor allem die Preußen wollen marschieren. Über den Rhein natürlich.« »Die Preußen wollen immer marschieren und immer über den Rhein«, murmelte ich zerstreut und dachte: sogar sein Schwiegervater… »Die Vorbereitungen für diesen größten Feldzug der Geschichte werden gegenwärtig heimlich in Schweden getroffen«, flüsterte Graf von Rosen. Seine Stimme war ganz heiser vor Erregung. »Wir werden wieder zu einer Großmacht. Und der Sohn Eurer Hoheit, der kleine Herzog von Södermanland …«
»Oscar hat mir seine erste Komposition geschickt, ich werde sie einüben und Ihnen abends vorspielen«, sagte ich. »Es ist ein schwedischer Volkstanz. Warum sehen Sie mich so merkwürdig an? Sind Sie von meinem Sohn enttäuscht?«
»Natürlich nicht, Hoheit. Im Gegenteil – ich bin nur überrascht, ich wusste gar
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