Désirée
Glockenstrang. Schließlich wurde ein Spalt geöffnet. Der Pförtner hatte nur einen Arm, ein Invalide aus den Italienkriegen, ich sah es an den Medaillen. »Besuche verboten!«
»Es handelt sich um Ihre Königliche Hoheit –«
»Besuche verboten!« Das Tor fiel zu. »Klopfen Sie, Graf!« Von Rosen klopfte. Klopfte laut und lange. Schließlich öffnete sich wieder der Spalt, ich schob von Rosen beiseite und sagte schnell: »Ich habe Erlaubnis, das Spital zu besuchen.«
»Haben Sie einen Passierzettel?«, kam es misstrauisch. »Ja.« Wir wurden endlich eingelassen. Standen in einer finsteren Einfahrt und wurden von der Kerze, die der Invalide hielt, beleuchtet. »Ihren Passierzettel, Madame!«
»Den habe ich nicht bei mir. Ich bin die Schwägerin von König Joseph.« Er hob die Kerze hoch und leuchtete mir ins Gesicht. »Sie werden verstehen, dass ich jederzeit einenPassierzettel haben könnte. Aber ich habe mich so beeilt, dass ich keinen anfordern konnte. Ich hole jemanden ab«, sagte ich hastig. Und weil er nicht antwortete, versicherte ich noch einmal: »Ich bin wirklich die Schwägerin König Josephs.«
»Ich kenne Sie, Madame, ich habe Sie oft bei Paraden gesehen. Sie sind die Marschallin Bernadotte.« Gottlob. Ich lächelte erleichtert: »Haben Sie vielleicht unter meinem Mann gedient?« Sein Gesicht verzog sich nicht. Er schwieg. »Bitte rufen Sie jemanden, der uns in die Krankensäle führt«, sagte ich schließlich. Aber er rührte sich nicht. Der Mann wurde mir unheimlich. »Borgen Sie uns die Kerze, wir werden uns schon selbst zurechtfinden«, murmelte ich hilflos. Da reichte er mir die Kerze. Trat einen Schritt zurück und verschwand im Dunkel. Nur seine Stimme hörten wir: »Die Frau Marschallin Bernadotte!«, krächzte er höhnisch. Und spuckte laut klatschend aus. Graf von Rosen nahm mir die Kerze ab, weil meine Hand so heftig zitterte. »Vergessen Sie den Mann, wir müssen Pierre suchen«, sagte ich mühsam. Dann tasteten wir uns eine breite Treppe hinauf. Von Rosen leuchtete – ein Korridor mit vielen Türen. Die Türen waren nur angelehnt. Stöhnen sickerte hindurch, jemand wimmerte. Ich stieß schnell die erste Tür auf. Wie eine Welle schlug mir der Gestank entgegen – Blut, Schweiß, Kot. Ich riss mich zusammen und atmete tief, um nicht unterzugehen. Das Wimmern war jetzt sehr nah. Es wimmerte zu meinen Füßen. Ich nahm von Rosen die Kerze ab und leuchtete. An beiden Seiten des Saales Betten. Und in der Mitte eine Reihe von Strohmatratzen. Das Ende des Raumes schien sehr weit entfernt zu sein, dort brannten eine Kerze und ein rotes ewiges Licht. Vor dem Tisch mit der Kerze saß eine Nonne. »Schwester!« Aber meine Stimme drang nicht durch das Röcheln und Stöhnen. Das Wimmern zumeinen Füßen hörte nicht auf. »Wasser, Wasser …« Ich senkte die Kerze. Auf dem Strohsack vor mir lag ein Mann mit eingebundenem Kopf. Der Mund stand weit offen in seiner Qual und wimmerte nur das eine Wort, immer wieder, immer wieder. Ich hob meine Röcke, um das arme Gesicht nicht zu streifen, und tastete ein paar Schritte vorwärts. »Schwester!« Endlich hörte sie mich, nahm ihre Kerze und kam auf uns zu. Ich sah in ein mageres, ausdrucksloses Gesicht unter einer riesigen weißen Flügelhaube. »Schwester, ich suche einen Verwundeten, der Pierre Dubois heißt.« Es schien sie nicht zu überraschen.
»Den ganzen Tag lang stehen Frauen vor dem Spital und suchen Einlass, um ihre Verwundeten zu finden oder Nachricht über sie zu bekommen. Wir lassen niemanden herein. Es ist kein Anblick für Frauen, Bräute und Mütter.«
»Ich – habe aber die Erlaubnis, Pierre Dubois zu suchen«, beharrte ich. »Wir können Ihnen nicht helfen, es sind zu viele hier, wir kennen die Namen nicht«, kam es sanft und gleichgültig. »Wie soll ich ihn denn finden?«, schluchzte ich auf.
»Das weiß ich nicht«, sagte die Nonne höflich. »Wenn Sie die Erlaubnis haben, ihn zu suchen, dann müssen Sie ihn eben suchen. Gehen Sie von Bett zu Bett, vielleicht finden Sie ihn!« Auf leisen Sohlen wandte sie sich um und wollte wieder zu ihrem Tisch zurück. »Wasser … Wasser …«, wimmerte es weiter. »Schwester, geben Sie dem Mann doch zu trinken!« Sie blieb stehen. »Er hat einen Bauchschuss und darf nicht trinken. Übrigens ist er gar nicht bei Bewusstsein.« Dann verschwand sie endgültig aus dem Schein meiner Kerze. Ich schloss einen Augenblick die Augen. In den Blutgeruch mischte sich der Gestank der Leibschüsseln, die
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