Désirée
durch unsere Linien, Herr Marschall‹, erklärte ich Bernadotte. ›Setzen Sie ihm eine Bärenfellmütze auf, Villatte, und Sie, Graf Rosen, tragen die Bärenfellmütze in Ehren!‹, entschied er. Ehe wir uns richtig besinnen konnten, kommandierte er schon: ›Vorwärts marsch – auf Wiedersehen, Graf, auf Wiedersehen, Villatte!‹«
»Da habe ich Villatte ein Pferd verschafft, Villatte hat für mich die französische Uniform aufgetrieben, wir haben schnell etwas gegessen und sind davongeritten. Seitdem sind wir ununterbrochen unterwegs gewesen, und jetzt – ja, jetzt sind wir eben wieder da«, schloss von Rosen. Eine Uhr schlug halb sieben. »Unsere Truppen versuchten, über die Elster zu fliehen. Dabei ist der Marschall Poniatowski ertrunken.« – »Und der Kaiser?« – Villatte schwieg. Schließlich: »Hofft, irgendwie die Rheingrenze zu halten. Wenn das misslingt, will er wenigstens Paris verteidigen.« Ich stützte die Arme auf dem Küchentisch aufund presste die Hände vor die Augen. Die Rheingrenze … Wie sie seinerzeit alle zu den Waffen gegriffen haben, um die Rheingrenze zu halten. Wie sie sie gehalten haben, wie Jean-Baptiste dort General wurde … irgendjemand kam in die Küche, irgendjemand sagte: »Himmelkreuzdonnerwetter, ohne meine Erlaubnis darf niemand in der Küche – oh Pardon, Hoheit!« Ich richtete mich auf. Mein dicker Koch stand vor mir. Ein verschrecktes Küchenmädchen öffnete die Fenster und ließ graues Morgenlicht herein. Ich zitterte plötzlich vor Kälte. »Hoheit – eine Tasse heiße Schokolade?«, schlug der Koch vor. Ich schüttelte den Kopf. Jemand stützte mich, als ich aufstand. Villatte. Mein Kriegsgefangener. »Gehen sie in Ihre Zimmer, meine Herren. Sie werden alles so vorfinden, wie Sie es verlassen haben«, schlug ich den beiden Helden vor. Dann verlangte ich ein Staubtuch. Das Küchenmädchen sah mich kopfschüttelnd an. »Wissen Sie nicht, was ein Staubtuch ist?« Das arme Ding knickste erschrocken und brachte mir eine blütenweiße Serviette. So stellt sich also mein Küchenmädchen das Staubtuch einer Kronprinzessin vor! Ich nahm die Serviette und ging in Jean-Baptistes Zimmer. Wann ist hier zum letzten Mal Staub gewischt worden? Ich fuhr mit der Serviette über die Scheibe des Toilettenspiegels und erschrak, weil der Raum so unbewohnt aussah. Jean-Baptiste hat sich längst alle Bücher, alle Porträts, alle Büsten, die ihm lieb sind, nach Stockholm bringen lassen. In diesem Zimmer gibt es nichts mehr, woran ihm etwas liegt.
Ich öffnete das Fenster, um zu lüften. Mein Garten sah genauso aus wie gestern. Ein Tag wie alle Tage, dachte ich. Dabei werden die Russen, die Preußen, die Österreicher über den Rhein gehen. Die Russen, die Preußen, die Österreicher und die Schweden. »Steh doch nicht im Schlafrock am offenen Fenster! Geh sofort in dein Zimmer, duwirst dich sonst verkühlen«, sagte Marie. »Was machst du eigentlich hier?« »Ich bereite das Zimmer für Jean-Baptiste vor. Frankreich ist geschlagen worden. Die verbündeten Truppen marschieren auf Paris zu. Jean-Baptiste kommt nach Hause, Marie.« »Dass er sich nicht schämt –« Zwischen den Zähnen stieß sie es hervor. Kaum hörbar. Aber ich hörte es doch. Mein Reiter, mein armer, einsamer Reiter …
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Paris, in der letzten Märzwoche 1814.
B eim Bäcker behaupten sie, dass die Kosaken alle Frauen schänden, auch die alten«, berichtete Marie aufgeregt. »Die alten sogar besonders gern«, behauptete ich. – »Eugénie, mach dich nicht lustig über mich!« – »Aber nein. Die Kosaken glauben, dass alte Frauen Glück bringen.« – »Unsinn!« – Ich neckte sie weiter. »Du musst es ja wissen, Marie …« Da wurde sie bös: »Wer hat dir das erzählt?« – »Villatte.« Sie runzelte die Stirn. »Könntest du nicht den schwedischen Grafen fragen, ob es wahr ist? Der ist schließlich mit den Kosaken verbündet, der muss es wissen.« – »Den kann ich aber nicht fragen. Eine Kronprinzessin weiß nämlich nicht, was schän–« Da hörten wir zum ersten Mal das ferne Donnern. »Gewitter im März?«, meinte Marie erstaunt. Wie sahen einander an. Es donnerte wieder. »Die Kanonen vor der Stadt«, flüsterte ich. Das ist zwei Tage her. Seit jenem Augenblick sind die Kanonen vor Paris nicht verstummt. Wir hatten in der letzten Zeit so oft gehört, dass die Truppen des österreichischen Kaisers jeden Augenblick vor den Toren stehen werden. Dass die Kosaken Paris stürmen und alle Häuser
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