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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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bitter, Mademoiselle Désirée, Sie sind doch nicht heimlich Bonapartistin?«
    »Nehmen Sie Hellblau für die Marschallin Ney. Sie bekommen den Satin zum Vorkriegspreis.« An der Rolle hing ein Zettel mit Etiennes dünner Handschrift. Der Preis stand darauf geschrieben. Ich nannte die Summe. »Ich werde einen Wechsel ausstellen«, beharrte er. »Sie werden kontant bezahlen oder den Satin hier lassen. Ich habe andere Abnehmer.« Er zählte das Geld auf den Schreibtisch. »Und der violette Musselin?«, fragte ich, während ich acht Meter blauen Satin abmaß und die große Schere vom Fensterbrett nahm. Dann wagte ich einen kleinen Einschnitt und riss das Gewebe mit einem energischen Ruck durch – genauso, wie ich Papa und Etienne Seiden durchreißen sah, wenn sie ein Stück verkauft hatten. »Die Kaiserin zahlt doch auch nie sofort«, klagte er. Ich überhörte es. »Sieben Meter Musselin«, seufzte er schließlich.»Nehmen Sie neun, sie wird sich einen Schal zu dem Kleid sticken lassen«, riet ich ihm und maß neun Meter ab. Inzwischen legte er widerwillig das Geld für Josephines melancholische Toilette auf den Schreibtisch. »Und ersuchen Sie Legrand, uns den grünen Samt mit der goldenen Biene bis heute Abend zu reservieren«, schärfte er mir beim Abschied ein. Das versprach ich ihm gern. Ich bediente noch drei weitere Kunden und kletterte ununterbrochen auf der kleinen Leiter herum. Dann kehrte endlich Legrand zurück. Das Geschäft war gerade leer. »Haben Sie alles einkassiert, Monsieur.«
    »Nicht alles. Aber einen Teil. Hier!« Er reichte mir eine Ledertasche mit vielen Banknoten. »Schreiben Sie alles genau auf, und ich werde Ihnen den Empfang der Summe bestätigen«, sagte ich. Er begann zu schreiben. Wie lange werden wir von der Summe leben? Eine Woche, zwei Wochen? Er schob mir das Stück Papier zur Unterschrift hin. Ich überlegte. Schrieb dann: »Désirée, Kronprinzessin von Schweden. Geborene Clary.« Er schüttete Sand darüber. »Von nun an werde ich regelmäßig mit meinem Bruder Etienne abrechnen«, sagte ich. »Und verschaffen Sie sich violetten Musselin – die neue Modefarbe, Sie werden schon sehen! Und den grünen Samt, den Madame Mère zurückgeschickt hat, reservieren Sie für Le Roy. Aber nein, ich mache mich nicht lustig, Le Roy will ihn wirklich haben! Auf Wiedersehen, Monsieur Legrand.«
    »Hoheit…« Die kleine Glocke über der Geschäftstür bimmelte. Der Mietwagen wartete. Als ich einstieg, reichte mir der Kutscher ein Zeitungsblatt. Ich bat ihn, mich in die Rue d’Anjou zu fahren. Unterwegs fiel mir die Extra-Ausgabe ein. Der Wagen schaukelte, die Buchstaben tanzten… »Da die verbündeten Mächte proklamiert haben, dass der Kaiser das einzige Hindernis für die Wiederherstellung des Friedens in Europa ist, so erklärt der Kaiser, seinemEide getreu, dass er für sich und seine Kinder auf die Throne von Frankreich und Italien verzichtet und dass es kein Opfer gibt, das des Lebens nicht ausgenommen, das er nicht bereit wäre, für das Wohl Frankreichs zu bringen.« Und das alles in einem einzigen Satz … Zum Nachtmahl werden wir Kalbsbraten bekommen. Ich muss auf meinen Pompadour aufpassen, ich habe alle Geldscheine hineingestopft. Es riecht schon nach Frühling. Aber die Leute auf der Straße haben angewiderte Gesichter. Nach einem Krieg weiß kein Mensch mehr, warum und wozu man hungert. Die Frauen vor den Bäckerläden stehen noch immer Schlange und tragen weiße Kokarden. Die Extra-Ausgaben mit der Abdankung schwimmen im Rinnstein. Mit einem Ruck hielt der Wagen. Eine Kette von Gendarmen versperrte die Einfahrt in die Rue d’Anjou. Ein Gendarm schrie dem Kutscher etwas zu. Der Kutscher stieg vom Bock und öffnete den Wagenschlag. »Weiterfahren verboten, die Rue d’Anjou ist abgesperrt, der Zar wird erwartet!«
    »Aber ich muss in die Rue d’Anjou, ich wohne dort!« Der Kutscher erklärte es den Gendarmen. Personen, die nachweislich in der Rue d’Anjou wohnen, dürfen passieren. Aber nur zu Fuß«, wurde uns mitgeteilt. Ich stieg aus und bezahlte den Kutscher. Zu beiden Seiten der Rue d’Anjou standen Gendarmen Spalier. Die Fahrbahn war menschenleer, meine Schritte hallten. Knapp vor meinem Haus wurde ich angehalten. Ein Gendarmeriewachtmeister zu Pferd sprengte auf mich zu. »Weitergehen verboten!« Ich sah zu ihm auf. Sein Gesicht kam mir bekannt vor. Mir fiel ein, dass es derselbe Mann war, der jahrelang vor unserem Haus im Auftrag des Polizeiministers Wache gehalten

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