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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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sich beleidigt. »Außerdem sind die meisten Lieferungen noch gar nicht bezahlt worden. Außenstände, nichts als Außenstände! Die Damen, die diese weißen Stoffe mit den Lilien gekauft haben, warten doch auf die Ankunft der Bourbonen. Dann werden ihre Männer die großen Stellungen bekommen, und die Damen können bezahlen. Aber die Toiletten für den Empfang in den Tuilerien müssen vorher genäht werden.« Er machte eine Pause und betrachtete mich misstrauisch.
    »Womit kann ich Ihnen dienen, Madame?«
    »Ich brauche Geld. Wie viel haben Sie in der Kasse?«
    »Madame! Ich – ich verstehe nicht –«
    »Ein Sechstel der Firma Clary gehört mir, ich bin eineTochter ihres verstorbenen Gründers. Und ich brauche dringend Geld. Wie viel haben Sie in der Kasse, Monsieur Legrand?«
    »Madame – das verstehe ich nicht recht. Monsieur Etienne hat doch nur zwei Schwestern. Madame Joseph Bonaparte und Ihre Königliche Hoheit, die Kronprinzessin von Schweden.« »Stimmt. Und ich bin die Kronprinzessin von Schweden. Wie viel haben Sie in der Kasse, Monsieur?« Monsieur Legrand tastete mit zitternder Hand in seine Westentasche, zog eine Brille heraus, setzte sie auf und sah mich an. Dann verbeugte er sich so tief, wie es sein dicker Bauch erlaubte. Als ich ihm die Hand reichte, begann er vor Rührung zu schnaufen. »Ich war schon Lehrling beim Herrn Papa in Marseille, als Hoheit noch ein Kind waren – ein so liebes Kind und schlimm, Hoheit, sehr schlimm!«
    »Sie hätten mich nicht wiedererkannt, nicht wahr? Nicht einmal mit der Brille?« Mir war zum Weinen. »Ich bin nicht mehr schlimm, Monsieur, ich versuche ja mein Bestes, um in diesen Tagen –« Ich senkte den Kopf, um meine Tränen mit der Zunge aufzufangen. Mit ein paar raschen Schritten war Legrand an der Tür und versperrte sie. Jetzt brauchen wir keine Kunden, Hoheit«, flüsterte er. »Ich kramte in meinem Pompadour nach einem Taschentuch. Legrand reichte mir seines. Blütenweiß, aus feinster Seide. »Ich habe mir den Kopf zermartert, wie ich durchkommen soll, ohne Schulden zu machen. Eine Clary macht doch keine Schulden, nicht wahr? Ich warte nur, bis mein Mann –« Ich biss verzweifelt in das Taschentuch unseres ehemaligen Lehrlings. »Ganz Paris wartet auf den feierlichen Einzug des Siegers von Leipzig«, versicherte mir Legrand. »Der Zar ist bereits angekommen, der Preußenkönig, es kann nicht mehr lange dauern, bis –« Ich wischte die letzten Tränen ab. »Ich habe in all diesenJahren niemals meinen Anteil an den Einnahmen der Firma behoben. Deshalb möchte ich jetzt alles mitnehmen, was Sie flüssig haben.« – »Ich habe sehr wenig flüssig, Hoheit. Am Tag vor seiner Abreise hat mich König Joseph um einen großen Betrag gebeten.« Meine Augen wurden weit vor Staunen. Er bemerkte es nicht, sprach weiter – »König Joseph hat zweimal jährlich den Anteil seiner Gattin an unseren Einnahmen behoben. Was wir bis Ende März am heimlichen Verkauf der weißen Seidenstoffe verdient haben, hat König Joseph einkassiert. Bleiben nur die Außenstände, Hoheit!«
    Auch Joseph Bonaparte hat an den weißen Kokarden verdient. Bewusst, unbewusst, jetzt ist es egal … »Hier –«, sagte Legrand und reichte mir ein Bündel Banknoten. »Das ist alles, was wir momentan flüssig haben.«
    »Immerhin etwas«, murmelte ich und stopfte die Banknoten in den Pompadour. Dann fasste ich einen Entschluss. »Monsieur Legrand, wir müssen sofort die Außenstände einkassieren. Alle Leute sagen, dass der Franc noch fallen wird. Draußen wartet mein Mietwagen. Nehmen Sie ihn, fahren Sie von einer Kundschaft zur anderen und kassieren sie. Weigert man sich, zu bezahlen, dann verlangen Sie die Ware zurück. Ja?«
    »Aber ich kann nicht abkommen, ich habe den Lehrling – wir haben hier nur noch einen, die Gehilfen sind alle einberufen worden – also, den Lehrling habe ich mit Warenproben zu einer alten Kundin geschickt, die dringend neue Kleider braucht. Zur Marschallin Marmont, Hoheit. Und ich erwarte jeden Augenblick den Einkäufer des Salons Le Roy. Bei Lo Roy wird Tag und Nacht gearbeitet, und die Damen vom neuen Hof –«
    »Während Sie einkassieren, werde ich hier die Kunden bedienen!« Dabei zog ich meinen Mantel aus und nahm den Hut ab. Legrand stotterte: »Aber Hoheit –«
    »Worüber wundern Sie sich? Ich habe als junges Mädchen sehr oft im Geschäft in Marseille geholfen. Haben Sie keine Angst, ich weiß, wie man Seide zusammenrollt. Beeilen Sie sich, Monsieur!«

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