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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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hatte. Ich habe nie herausgefunden, ob diese Wache als Ehrung oder als Aufsicht gedacht war. Napoleon ließ die Häuser, die seine Marschälle bewohnten, Tag undNacht von der Polizei beaufsichtigen. Der Wachtmeister war ein älterer Mann in einer sehr abgetragenen Uniform. Auf seinem schäbigen Dreispitz glänzte ein dunkler Fleck: die Stelle, an der bis vor zwei Tagen die blauweißrote Kokarde angenäht war. Die ließ er absichtlich frei. Daneben hing lose die weiße Kokarde, erster Erlass der neuen Regierung. »Lassen Sie mich durch, Sie wissen doch, dass ich in diesem Haus dort wohne!« Ich wies mit dem Kinn auf mein Haus. Vor dem Eingang bildeten die Gendarmen einen dichten Knäuel. »In einer halben Stunde stattet Seine Majestät, der Kaiser von Russland, Ihrer Königlichen Hoheit, der Kronprinzessin von Schweden, einen Besuch ab. Ich habe Befehl, niemanden an dem Haus vorbeizulassen«, schnarrte er und sah über mich hinweg. Auch das noch, der Zar kommt zu mir, der Zar … »Dann lassen Sie mich schnell durch, ich muss mich doch umziehen«, schrie ich wütend. Aber der schäbige Wachtmeister sah mir noch immer nicht ins Gesicht. Ich stampfte mit dem Fuß auf. »Schauen Sie mich doch an, Sie kennen mich seit Jahren, Sie wissen genau, dass ich in dem Haus dort wohne!«
    »Ich habe mich geirrt und Hoheit mit der Marschallin Bernadotte verwechselt.« Jetzt sah er mich an. Die Augen glitzerten böse. »Ich bitte um Entschuldigung – eine Verwechslung. Hoheit sind die Dame, die den Zaren empfängt.« Er brüllte: »Passage frei für die Kronprinzessin von Schweden!« Ich lief Spießruten zwischen den Gendarmen. Meine Füße waren wie Blei. Aber ich lief … Zu Hause wartete man schon auf mich, das Tor flog auf, als ich mich näherte. Marie packte meinen Arm. »Schnell, schnell – in einer halben Stunde haben wir den Zaren hier!« Pierre hing zwischen seinen Krücken in der Tür zur Pförtnerwohnung. Ich warf ihm meinen Pompadour zu. »Da – wir sind aus der Patsche! Zumindest vorläufig«, stieß ich hervor. Ich weiß nicht mehr, wie ich in mein Boudoir kam.Marie riss mir die Kleider herunter und warf mir ein Negligé über. Yvette begann mein Haar zu bürsten. Ich schloss erschöpft die Augen. »Trink das, trink es mit einem Schluck!« Marie hielt ein Glas Kognak in der Hand. »Ich kann nicht, Marie – ich trinke niemals Kognak.«
    »Trink!«
    Da nahm ich ihr das Glas ab. Meine Hände zitterten. Mir ekelte vor dem Kognak. Aber ich goss ihn in einem Zug hinunter. Er brannte bis tief in den Magen. »Was ziehst du an?«, wollte Marie wissen. »Ich weiß nicht. Ich habe nichts Neues. Vielleicht das violette Samtkleid, das ich zur Abschiedsaudienz beim Kaiser getragen habe.« Samt im Frühling? Violett – kleidsam und melancholisch. Ich rieb mein Gesicht mit Rosenwasser ab, rieb den Staub des Warenlagers aus allen Poren, Goldschminke auf die Augenlider – Yvette hielt mir den Schminkspiegel entgegen. So – und jetzt Rouge auf die Wangen, die Puderquaste … »Du hast noch eine Viertelstunde, Eugénie«, sagte Marie und kniete neben mir nieder und streifte mir Schuhe und Strümpfe ab. »Ich werde den Zaren im kleinen Salon empfangen. Im großen sitzt ja die ganze Familie.« Dabei hämmerten Kopfschmerzen in meinen Schläfen. »Ich habe schon alles im kleinen Salon vorbereitet – Champagner, Konfekt, zerbrich dir nicht den Kopf!« Marie zog mir silberne Sandalen an. In diesem Augenblick sah ich im Spiegel Julie. Sie hatte eines ihrer Purpurgewänder angezogen und hielt eine ihrer kleinen Kronen in der Hand. »Soll ich die Krone tragen oder nicht, Désirée?« Ich drehte mich um und starrte sie verständnislos an. Sie war so mager, dass der Purpur, der ihr so entsetzlich schlecht steht, in losen Falten an ihr herunterhing. »Um Himmels willen, wozu willst du die Krone aufsetzen?«
    »Ich dachte nur – ich meine, wenn du mich dem Zaren vorstellst, so wirst du doch meinen alten Titel nennenund –« Ich wandte mich ab und sprach in den Spiegel. »Willst du wirklich dem Zaren vorgestellt werden, Julie?« Sie nickte heftig. »Natürlich. Ich werde ihn bitten, meine Interessen und die meiner Kinder zu schützen. Der Kaiser von Russland –«
    »Dass du dich nicht schämst, Julie Clary«, flüsterte ich. »Napoleon hat erst vor ein paar Stunden abgedankt. Seine Familie hat seinen Erfolg geteilt, zwei Kronen hast du von ihm angenommen. Jetzt musst du warten, was über dich bestimmt wird. Deine Interessen –« Ich

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