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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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kann sich vor seiner Familie verstecken. Man kann vor seiner Dienerschaft flüchten. Aber man kann unter garkeinen Umständen Hortense entgehen. Um acht Uhr abends meldete mir Marie die »ehemalige Königin von Holland, jetzige Herzogin von Saint Leu«. Ich zog die Decke über meinen Kopf. Fünf Minuten später jammerte Marceline an meiner Tür. »Tante, du musst kommen, Hortense sitzt im kleinen Salon und will auf dich warten, auch wenn es die ganze Nacht dauern sollte. Ihre Söhne hat sie auch mitgebracht!« Ich rührte mich nicht. Nach zehn Minuten beugte sich Julie über mein Bett. »Désirée, sei doch nicht so hart! Die arme Hortense fleht dich an, sie zu empfangen.« Da ergab ich mich in mein Schicksal. »Lass sie hereinkommen, aber nur auf einen Augenblick!« Hortense schob ihre Söhne zuerst herein. »Versagen Sie meinen armen Kindern nicht Ihren Schutz, nehmen Sie sie auf, bis alles entschieden ist«, schluchzte sie. Hortense ist im letzten Jahr sehr mager geworden, ihre Trauerkleider machen sie sehr blass, ihre farblosen Haare sind unordentlich und ungepflegt. »Ihre Kinder sind doch nicht in Gefahr«, sagte ich. »Aber natürlich«, flüsterte sie aufgeregt. »Der König kann sie jeden Augenblick verhaften lassen, um sie als Geiseln gegen den Kaiser auszuspielen. Meine Kinder sind doch die Erben der Dynastie, Madame!«
    »Der Erbe der Dynastie heißt Napoleon wie sein Vater und lebt momentan in Wien«, erklärte ich ruhig. »Und wenn diesem Kind etwas zustößt – in seiner Gefangenschaft – in Wien?«, zischte sie. »Was dann, Madame?« Ihre Blicke liebkosten die beiden eckigen Buben. »Napoleon III.«, flüsterte sie mit seltsam irren Lächeln und strich dem Jüngeren das strähnige Haar aus der Stirn. Ihre Augen saugten sich an mir fest. »Der König wird nicht wagen, meine Kinder bis ins Haus der schwedischen Kronprinzessin zu verfolgen. Ich flehe Sie an –«
    »Die Kinder können selbstverständlich hier bleiben.«
    »Napoleon Louis, Charles Louis Napoleon – küsst derguten Tante die Hand!« Da zog ich schnell wieder die Decke über den Kopf. Aber an diesem Abend durfte ich nicht zur Ruhe kommen. Ich war kaum eingeschlafen, als mich Kerzenschimmer und Rascheln wieder aufweckten. Jemand wühlte in meiner Kommode. Ich setzte mich auf. »Julie! Suchst du etwas?«
    »Meine Krone, Désirée. Weißt du vielleicht, was mit der kleinen Krone geschehen ist, die ich damals in deinem Boudoir vergessen habe?«
    »Ja, die ist mehrere Tage herumgekugelt, dann habe ich sie ins unterste Fach der Kommode gelegt. Unter die warmen Unterhosen aus Schweden. Aber was willst du denn jetzt mitten in der Nacht mit der Krone, Julie?«
    »Ich wollte sie nur probieren«, kam es leise. »Und vielleicht aufpolieren, damit sie wieder glänzt.«

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    Paris, 20. März 1815.
    G estern Nacht ist Louis XVIII. durch eine Hintertür aus den Tuilerien geschlichen. Dann sind die Bourbonen ins gewohnte Exil gereist. Nur bis Gent, heißt es. Der alte Herr soll sehr müde gewesen sein … Vormittags ließ General Exelman die leeren Tuilerien besetzen und die Trikolore aufziehen. In den Straßen werden Flugblätter mit einer Proklamation Napoleons verteilt. Und kein Mensch hat jemals eine weiße Kokarde getragen. Auf allen Rockaufschlägen stecken blauweißrote Schleifen. Knopflöcher und Rockaufschläge sind geduldig. Und – sehr abgenutzt. Die Lakaien und Scheuerfrauen in den Tuilerien – immer dieselben natürlich – arbeiten und schwitzen wieder einmal wie die Besessenen. Die neuen Gardinen und Portieren werden heruntergerissen. Und die dunkelgrünen mit dem Bienenmuster aus den Depots gebracht und aufgehängt. Hortense hat den Oberbefehl übernommen, lässt alle vergoldeten Adler aus dem Keller holen und staubt sie persönlich ab. Auch in meinem Haus geht es leider drunter und drüber. Ein Kurier des Kaisers hat Julie gemeldet, dass Seine Majestät um neun Uhr abends in den Tuilerien eintreffen wird. Gut, schön – Julie wird dort sein, in Purpur gehüllt, die Krone der Kaiserlichen Prinzessin auf dem Kopf. (Schief wahrscheinlich!) Sie ist so aufgeregt und zerfahren, dass sie nicht einmal ihre Töchter frisieren kann. »Die ganze Familie ist noch unterwegs, Hortense und ich müssen ihn allein empfangen … Désirée, ich habe solche Angst vor ihm!«
    »Unsinn, Julie, es ist doch derselbe Buonaparte wie seinerzeit in Marseille. Dein Schwager, Julie. Was gibt es da zu fürchten?« »Ist es wirklich derselbe? Dieser

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