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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Triumphzug – von Elba nach Cannes, von Cannes über Grenoblenach Paris! Regimenter, die vor ihm auf die Knie fallen, der Marschall Ney –« Ja, der tapfere Marschall Ney ist mit fliegenden Fahnen zu ihm übergegangen. Die ganze Armee rechnet damit, dass jetzt alles wieder so wird wie früher, Kriegszulagen, Sprungavancements, Marschallstellungen, Gouverneurposten, Aufteilung von Königreichen … »Julie, die Armee jubelt, aber alle anderen Leute schweigen!« Verständnislos sah sie mich an. Dann borgte sie sich die Ohrgehänge der Königinwitwe von Schweden aus und verschwand. Hoffentlich bringt Joseph ihren Schmuck wieder zurück … Unterdessen stellte Marie meine Badewanne im Boudoir auf und schrubbte die Bonaparte-Buben ab. Sie werden später mit Julie in die Tuilerien fahren. Ich musste ihnen auf Hortenses Wunsch Löckchen ins glatte Haar brennen. »Glaubst du, dass er zurückkommt, Tante?«, fragte mich Louis Napoleon plötzlich. »Natürlich, der Kaiser ist schon beinahe hier.« »Ich meine seinen Sohn, den kleinen König von Rom«, sagte Louis Napoleon zögernd und wich meinem Blick aus. Wortlos brannte ich dem dritten Napoleon noch ein letztes Löckchen. Dann nahm ich mein Buch und begann zu schreiben.
    Nachts.
    Um acht Uhr abends holte eine Staatskarosse aus den Stallungen der Tuilerien Julie und die Kinder ab. Der Wagen trug noch das Wappen der Bourbonen. In meinem Haus wurde es sehr still. Ich begann unruhig durch die Zimmer zu wandern. Graf von Rosen lehnte aus einem offenen Fenster. »Ich wäre eigentlich sehr gern dabei«, gestand er. »Dabei?« »Ja – vor den Tuilerien. Ich möchte die Ankunft sehen.« »Nehmen Sie einen Zivilanzug, stecken Sie sich eine Trikolore an und warten Sie auf mich!«, entfuhr es mir. Verdutzt sah er mich an. »Beeilen Sie sich«, drängteich ihn. Dann schlüpfte ich in einen einfachen Mantel und setzte einen Hut auf. Es war schwer, bis zu den Tuilerien zu gelangen. Zuerst mieteten wir einen Wagen, dann stiegen wir aus, weil man zu Fuß leichter vorwärts kam. Eine undurchdringlich dichte Menschenmenge schob sich auf die Tuilerien zu. Schob und wurde geschoben. Ich hielt mich krampfhaft am Arm meines jungen Grafen fest, um ihn nicht im Gedränge zu verlieren. Fest eingekeilt wurden wir vorwärts gestoßen. Die Tuilerien waren hell erleuchtet wie in den Nächten der rauschenden Feste. Aber ich wusste, dass der große Saal beinahe leer war. Julie, Hortense, zwei kleine Mädchen, zwei kleine Buben. Der Herzog von Vincenza und der Marschall Davout. Vielleicht noch ein paar Generäle. Das war alles … Plötzlich sprengten berittene Gardisten in die Menge. »Bahn frei – Bahn frei!« In der Ferne schien ein Sturm ausgebrochen zu sein. Der Sturm verpflanzte sich, brauste näher, erfasste uns. »Vive l’Empereur, vive l’Empereur …« Die Gesichter der Zunächststehenden bestanden nur noch aus Mündern, die Münder schrien … ein Wagen wurde sichtbar, in wildem Galopp sprengten die Pferde auf die Tuilerien zu. Offiziere aller Chargen, aller Regimenter galoppierten ihm nach. Um uns und über uns gellte ein einziger Schrei. Auf der Freitreppe standen plötzlich Lakaien mit Fackeln. Der Wagenschlag wurde aufgerissen. Für den Bruchteil eines Augenblicks sah ich die Gestalt des Kaisers. Dann stieg der Marschall Ney aus dem Wagen … Vorwärts stürmte die Menge, durchbrach die Kette der Gardisten, das Gesicht des Kaisers schwebte über allen Schultern. Sie trugen ihn die Freitreppe hinauf sie trugen ihn in die Tuilerien zurück. Sein Gesicht war vom Fackelschein übergossen, er lächelte mit geschlossenen Augen – gierig und genusssüchtig, wie einer, der durstig ist und endlich zu trinken bekommt. Und wieder wurden wir zurückgetrieben.Wieder rollte ein Wagen heran. Wieder verrenkten sich alle den Hals. Dann murmelten sie enttäuscht. Nur Fouché, der den Kaiser willkommen heißen wollte, nur Fouché, der ihm seine Dienste anbot … Ich hatte genug. Von Rosen musste mir einen Rückweg durch die Menschenmasse bahnen. Aber als wir das andere Ufer der Seine erreichten, wanderten wir durch ausgestorbene Straßen. »Man darf zwei- bis dreitausend Neugierige nicht überschätzen, Hoheit.« Unsere Schritte hallten. Mein Haus kam in Sicht. Finster und ungeschmückt stand es zwischen seinen Nachbarn. Von allen Dächern wehte die Trikolore.

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    Paris, 18. Juni 1815.
    M arie brachte mir gerade mein Frühstück ans Bett, da begannen plötzlich die Kanonen zu donnern und alle

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