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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Glocken zu läuten. »Mein Gott, er hat wirklich gesiegt!«, sagte Marie. In diesem Augenblick wurde ich mir klar darüber, dass wir es nicht erwartet hatten. Wir nicht und die anderen auch nicht. Aber die Kanonen vor dem Dôme des Invalides und die Glocken von Notre-Dame verkündeten den Sieg. Es war alles wie einst … Julie wohnt wieder mit Joseph im Élysée-Palais. Madame Letitia und alle Bonaparte-Brüder sind zurückgekehrt. Aber in den Tuilerien spielt Hortense die Hausfrau. Sie soupiert mit Napoleon und arrangiert Bälle, um seine Nächte zu verkürzen. Denn in den Nächten wandert Napoleon durch die leeren Gemächer der Kaiserin und das verlassene Kinderzimmer des kleinen Königs von Rom. Einen Brief nach dem anderen hat er an Marie-Luise geschrieben. Und ein Schaukelpferd hat er gekauft. Marie-Luises Boudoir wurde neu tapeziert. Napoleon trieb die Handwerker zur Eile an. »Ihre Majestät kann jeden Augenblick aus Wien eintreffen.« Aber Marie-Luise und das Kind sind nicht gekommen. Gleich nach seiner Rückkehr ließ Napoleon Wahlen ausschreiben. Ihr Resultat sollte dem Ausland beweisen, wie verhasst hier die Bourbonen sind. Es waren die ersten freien Wahlen seit den Tagen der Republik. Da wählte Frankreich die neue Nationalversammlung. Carnot wurde Abgeordneter. Und – Lafayette. Es kann nicht derselbe sein, dachte ich, als ich die Wahlresultate im »Moniteur« las. Aber Marie sagte, es sei derselbe. Jener General Lafayette, der als Erster die Menschenrechte verkündet hat. Wie ist es möglich, dass man in all diesen Jahren nicht mehr an General Lafayette gedacht hat? Papa hat uns Kindern oftvon ihm erzählt. Vom Marquis Lafayette, der mit neunzehn Jahren ein eigenes Schiff ausgerüstet hat und nach Nordamerika gefahren ist, um als Freiwilliger für die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten zu kämpfen. Der erste amerikanische Kongress hat ihn dafür zum Generalmajor ernannt. Mit ihm zusammen hat der Amerikaner Washington die Verfassung ausgearbeitet, dann ist Lafayette nach Frankreich zurückgekehrt. Nein, ich habe nicht vergessen, was du erzählt hast, Papa – Lafayette hat Freiwillige gesammelt und ist mit ihnen zu seinem Freund Washington gereist. Und dieses Korps Lafayette hat sich in einem fremden Erdteil für Freiheit und Unabhängigkeit geschlagen. Eines Tages ist dieser junge Marquis in einer abgetragenen amerikanischen Generalsuniform in der Nationalversammlung in Paris auf die Rednertribüne gestiegen und hat die Erklärung der Menschenrechte vorgelesen. Du hast das Zeitungsblatt mit dieser Erklärung nach Haus gebracht, Papa, und deiner kleinen Tochter vorgelesen. Wort für Wort, damit ich sie nie vergesse … Lafayette hat damals Frankreichs Nationalgarde gegründet, um unsere neue Republik zu verteidigen. Aber was ist dann mit ihm geschehen? Ich fragte meinen Neffen Marius. Aber er wusste es nicht, und es war ihm auch ganz egal. Jean-Baptiste könnte mir antworten. Aber Jean-Baptiste ist in Stockholm. Sein Botschafter hat Paris verlassen, alle fremden Diplomaten sind abgereist. Das Ausland unterhält keine diplomatischen Beziehungen mehr mit Napoleon. Das Ausland beantwortet auch nicht seine Briefe. Das Ausland schickt nur Armeen. Unaufhaltsam, ohne Kriegserklärung marschiert ein Heer von achthunderttausend Mann gegen Frankreich. Napoleon verfügt über hunderttausend. Tag und Nacht mussten Gendarmen durch die Dörfer reiten, um waffenfähige Bauernburschen zu finden und Pferde zu requirieren. Die Bauernburschenversteckten sich. Und Pferde gibt es keine mehr. Die Offiziere dagegen, die einst mit ihm von Sieg zu Sieg geritten sind, bringen ärztliche Atteste. Napoleon hat sie enttäuscht. Die Staatskassen sind leer, die Gagen werden nicht erhöht. Auch mein kriegerischer Marius muss sich plötzlich einer Badekur unterziehen. Und die Marschälle? Die Marschälle haben Landgüter, auf die sie sich zurückgezogen haben. Nur Davout steht neben Napoleon. Und Ney, dessen Regimenter überliefen und ihn einfach mitgerissen haben. Napoleon ernennt schnell einen General Grouchy zum Marschall. Dann marschiert er an der Spitze seiner letzten Armee über die Grenze, um die Verbündeten aufzuhalten. Das war vor drei Tagen. Sein Armeebefehl ist überall abgedruckt. Wir können ihn alle auswendig. »Für jeden mutigen Franzosen ist der Augenblick gekommen, um zu siegen oder zu sterben.« Nach dieser entsetzlichen Proklamation sind die Papiere an der Börse noch mehr gefallen. Man hamstert Lebensmittel.

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