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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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jetzt?«
    »Désirée, wetten wir – in England wettet man so gern – wetten wir, dass er mich jetzt wieder zu den Abgeordneten schicken wird? Die Abgeordneten werden nämlich seine Abdankung verlangen, und er wird mich bitten, ihn zu verteidigen. Und wissen Sie, was ich tun werde?« Ich lächelte. »Ja, Sie werden ihn verteidigen. In Wirklichkeit sind Sie nur deshalb zurückgekommen.« Als er mich verlassen hatte, dachte ich einen Augenblick – das Ganze ist nicht wahr, Lucien hat sich geirrt, die Siegesglocken haben doch gerade geläutet … Aber da hörte ich schon einen Wagen, Hortense erschien und bat mich weinend, ihre schutzlosen Kinder aufzunehmen.

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    23. Juni 1815.
    W enn ich nach so vielen Jahren zum ersten Mal wieder meine Stimme erhebe –«, begann Lafayette in jener entscheidenden Sitzung der Nationalversammlung. Der »Moniteur« druckte die ganze Rede ab. Ich las gerade die ersten Worte, da wurde die Tür meines Boudoirs aufgerissen, eine schluchzende, schreiende Julie taumelte herein, fiel vor mir auf die Knie und wühlte ihr tränennasses Gesicht in meinen Schoß. Die ersten, halbwegs verständlichen Worte, die sie hervorstieß, waren: »Er hat abgedankt.« Dann kam wieder nichts als Schluchzen. Und schließlich: »Die Preußen können jeden Augenblick einmarschieren …« Marie kam herein, wir legten Julie auf ein Sofa, ich setzte mich zu ihr, wie eine Ertrinkende klammerte sie sich an mich – »– und mitten in der Nacht ist er zurückgekommen. In einer alten Postkutsche – die er irgendwo requiriert hat – sein eigener Wagen und sein Gepäck – ist dem General Blücher in die Hände gefallen – gleich zu uns ins Élysée ist er gefahren … Alle Brüder wollte er sprechen und die Minister, die sind nur fünf Minuten geblieben, die wollten in die Nationalversammlung zurück. Der Kaiser hat ihnen erklärt, dass er hunderttausend Mann ausheben muss, um eine neue Armee – ja, und dann hat er vom armen Lucien verlangt, dass er in seinem Namen vor die Abgeordneten tritt und der Nation vorwirft, dass sie ihn im Stich lässt.« »Und Lucien ist wirklich gegangen?« Julie nickte. »Ja, er ging – und kam bereits zwanzig Minuten später zurück.« Lucien war auf die Rednertribüne gestiegen und mit den ärgsten Schimpfworten überfallen worden. Ganz still war er dagestanden, kein Muskel in dem weißen Gesicht zuckte, während die Abgeordneten »À bas Bonaparte, à bas Bonaparte« heulten.Nur als sie Tintenfässer nach ihm warfen, nahm er die Brille ab. Schließlich ermahnte der Vorsitzende zur Ruhe, es wurde still, und Lucien sagte tonlos, dass die Nation seinen Bruder im Stiche lasse. Aber da war Lafayette aufgesprungen. »Und das wagen Sie uns zu sagen! Unsere Nation hat in diesen zehn Jahren drei Millionen – drei Millionen – Söhne geopfert. Verlangt Ihr Bruder mehr von uns? Noch mehr?« Wortlos hatte Lucien die Rednertribüne verlassen. »Ich weiß das alles von Fouché, er selbst hat uns nichts erzählt«, schluchzte Julie. »Joseph und Lucien sprachen dann eine ganze Nacht lang mit Napoleon. Bis zum Morgengrauen habe ich ihnen abwechselnd Kaffee und Kognak servieren müssen – der Kaiser ist ununterbrochen auf und ab gelaufen und hat auf die Tischplatte geschlagen und geschrien –« Sie presste die dünnen Hände vors Gesicht. »Haben ihn Joseph und Lucien zur Abdankung überreden können?« Julie schüttelte den Kopf und ließ die Hände sinken. »Heute früh hat Lafayette in der Nationalversammlung erklärt: ›Wenn General Bonaparte nicht innerhalb einer Stunde abdankt, werde ich seine Absetzung beantragen!‹ Mit diesem Bescheid ist Fouché zu uns gekommen. Nur eine Stunde haben sie ihm Zeit gelassen.«
    »Und den ganzen gestrigen Tag und die ganze Nacht«, warf ich ein. »Schließlich hat der Kaiser unterschrieben – Fouché hat neben ihm gestanden. Er hat zugunsten des Königs von Rom abgedankt. Aber das interessiert die Minister nicht…« Marie begann wie in alten Zeiten Julies Knöchel zu massieren.
    »Du, ich gehe nicht mehr ins Élysée zurück«, flüsterte Julie plötzlich. »Die Kinder sollen hierher kommen, ich will hier bleiben …« Sie sah sich verstört um. »Bei dir können sie mich doch nicht verhaften, nicht wahr? Hier nicht –?«
    »Die verbündeten Truppen sind doch noch gar nicht in Paris, vielleicht kommen sie überhaupt nicht.« Julies Lippen zitterten. »Die Verbündeten? Nein, unsere Regierung, Désirée – unsere! Dem Kaiser haben sie schon

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