Désirée
einen General Becker geschickt, der ihn zu bewachen hat, das Direktorium –«
»Direktorium?«
»Die neue Regierung nennt sich Direktorium. Sie verhandelt schon mit den Verbündeten. Carnot und Fouché sind zwei von den fünf Direktoren, ich habe solche Angst vor ihnen …« Sie begann wieder hilflos zu weinen. »Du, auf der Straße haben sie mir ›Nieder mit den Bonapartes‹ nachgeschrien –« Da wurde die Tür aufgerissen – Joseph. »Julie, du musst gleich packen. Der Kaiser wünscht, Paris sofort zu verlassen und nach Malmaison zu übersiedeln. Die ganze Familie wird ihn begleiten. Komm, Julie – bitte, komm!« Wie eine Rasende krallte Julie ihre Finger in meine Schultern. Nie im Leben, nie im Leben werde sie mich verlassen. Josephs Augen waren entzündet, das Gesicht mit den schweren Tränensäcken grau, man sah ihm an, dass er seit zwei Tagen nicht geschlafen hatte. »Die ganze Familie begibt sich nach Malmaison, Julie«, wiederholte er. Da löste ich Julies Finger von meinen Schultern. »Julie – du musst mit deinem Mann gehen.« Sie schüttelte den Kopf, ihre Zähne schlugen aufeinander. »Auf der Straße schreien sie doch ›Nieder mit den Bonapartes!‹«
»Eben – deshalb, Julie«, sagte ich und zog sie in die Höhe. »Ich möchte Sie bitten, Julie, die Kinder und mich in Ihrem Wagen nach Malmaison fahren zu lassen«, murmelte Joseph und sah mich dabei nicht an. »Ich wollte meinen Wagen Madame Letitia borgen. Aber vielleicht können Sie alle Platz darin finden. Das schwedische Wappen ist deutlich sichtbar.«
»Aber du wirst mir helfen, Désirée, du wirst mir helfen,nicht wahr?«, schrie Julie. Joseph trat schnell auf sie zu und legte seinen Arm um sie. Dann führte er sie zur Tür. Es ist ungefähr ein Jahr her, seitdem Josephine gestorben ist. In Malmaison blühen jetzt alle Rosen.
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Paris, in der Nacht vom 29. auf
den 30. Juni 1815.
S ein Säbel liegt auf meinem Nachttisch, sein Schicksal hat sich erfüllt, und ich habe es besiegelt. Alle sprechen von meiner großen Mission. Aber mir ist schrecklich weh ums Herz. Dabei habe ich doch nur einen blauen Fleck auf dem Knie … Vielleicht vergeht diese Nacht schneller, wenn ich zu schreiben beginne. Heute in aller Herrgottsfrühe wollte mich plötzlich die Nation sprechen. Das klingt verrückt, aber es war wirklich so. Ich lag schon zwei Stunden lang wach. Wir sind wehrlos der Sommerhitze ausgeliefert. Und die Sonne brennt erbarmungslos auf die Frauen, die wieder vor Fleischerläden und beim Bäcker Schlange stehen. Die letzten Kanonen rollen vorüber und werden vor den Stadttoren aufgestellt, niemand kümmert sich darum. Paris wird von den Preußen und Engländern, den Russen und Sachsen und Österreichern gestürmt werden. Nur nicht in der Hitze zusammenfallen, während man auf ein Stück Brot wartet … In aller Herrgottsfrühe erschien Yvette. Graf von Rosen wollte mich unverzüglich sprechen. Bevor sie noch ausreden konnte, stürzte der Schwede schon an mein Bett.
»Melde gehorsamst, die Vertreter der Nation wünschen Hoheit so bald wie möglich zu sprechen!« Dabei knöpfte er aufgeregt den Rock seiner Paradeuniform zu. Ich musste lachen. »Ich kenne mich ja in Etikettefragen nicht sehr gut aus, aber wenn Sie schon in aller Frühe in mein Schlafzimmer stürmen, sollten Sie sich doch vorher fertig ankleiden!«
»Verzeihung, Hoheit – die Nation«, stammelte der Graf. »Welche Nation?« Das Lachen verging mir. »Die französische Nation.« Graf von Rosen hatte seineParadeuniform fertig zugeknöpft und stand stramm. »Kaffee, Yvette«, sagte ich. »Starken Kaffee!« Ich starrte den Grafen verwirrt an. »Bevor ich Kaffee getrunken habe, muss man ganz langsam mit mir sprechen und mir alles sehr genau erklären, sonst begreife ich es nicht. Sie sagen, die französische Nation wünscht – ja, was wünscht sie eigentlich?«
»Die Nation oder vielmehr die Vertreter der Nation bitten um Audienz. Es sei von ungeheurer Bedeutung, sagte der Herr, den sie hergeschickt haben. Ich habe mir deshalb die Paradeuniform angezogen.«
»Ja, die sehe ich.« Yvette brachte meinen Kaffee. Ich verbrannte mir die Zunge daran. »Der Herr wartet auf Bescheid«, sagte Graf von Rosen. »In einer halben Stunde kann ich sie empfangen … Die Vertreter der Nation nämlich. Nicht die ganze, Graf!« Ich redete Dummheiten, um meine Angst zu betäuben. Was will man denn von mir? Ich schwitzte, aber meine Hände waren eiskalt. Ich schlüpfte in ein dünnes,
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