Désirée
gestatten, werde ich mich jetzt in Ihren Garten setzen und auf Ihre Rückkehr warten.« – »Den ganzen langen Tag?« – »Den ganzen langen Tag, und ich werde ununterbrochen an Sie denken.«
»Hoheit, der Wagen ist vorgefahren.« Graf von Rosen trug die blaugelbe Adjutantenschärpe über der Paradeuniform. Ich sah noch, wie Lafayette in den Garten ging. Die Fahrt nach Malmaison war viel kürzer als sonst. Ich ließ das Dach zurückschlagen, weil ich kaum atmen konnte. Aber es half nichts. Dicht hinter uns galoppierte ein einsamer Reiter. General Becker, der Kommissar, der den ehemaligen Kaiser der Franzosen im Auftrag der französischen Regierung zu bewachen hat. Graf von Rosen sah mich ab und zu von der Seite an. Wir sprachen auf dem ganzen Weg kein einziges Wort. In der Nähe von Malmaison versperrte eine Barrikade die Straße, Nationalgardisten hielten Wache. Als sie General Becker sahen, rückten sie sofort die Barrikade zur Seite. Auch die Einfahrt in den Park wurde von schwer bewaffneten Posten bewacht. Becker sprang vom Pferd. Mein Wagen durfte einfahren. Mein Herz begann wieder zu flattern. In meiner Not versuchte ich, mir einzubilden, es sei alles wie früher. EinAusflug nach Malmaison, wo ich jede Bank und jeden Rosenstock kenne, ich werde den kleinen Teich wieder sehen und – Der Wagen hielt, Graf von Rosen half mir beim Aussteigen. Meneval erschien auf der Freitreppe. Hinter ihm der Herzog von Vincenza. Im nächsten Augenblick war ich von lauter vertrauten Gesichtern umringt. Hortense lief auf mich zu, hinter ihr Julie. Ich zwang meine zitternden Lippen zu einem Lächeln. »Wie schön, dass du gekommen bist, Liebstes«, sagte Julie. »Eine reizende Überraschung«, kam es von Joseph. Neben Joseph tauchte Lucien auf. Die kurzsichtigen Augen forschten in meinem Gesicht. Ich lächelte verzweifelt. Aus dem geöffneten Fenster des weißgelben Salons winkte mir Madame Letitia zu. Wie sie sich alle über meinen Besuch freuten … »Joseph –«, sagte ich und schluckte. »Ich möchte – bitte, ich muss sofort Ihren Bruder sprechen.«
»Wie freundlich von Ihnen, Désirée. Aber Sie müssen sich gedulden! Der Kaiser erwartet eine wichtige Nachricht der Regierung aus Paris und wünscht, bis dahin allein zu sein.« Mein Mund war wieder ausgetrocknet. »Joseph – ich bringe Ihrem Bruder diese Nachricht.«
»Und?« Gleichzeitig kam es von allen: Joseph, Lucien, Hortense und Julie, von Meneval und Vincenza. Vom General Bertrand und von Jérôme Bonaparte, die zu uns getreten waren. »Und –?« »Ich möchte diese Nachricht zuerst dem General Bonaparte geben.« Josephs Gesicht wurde um einen Schein blasser, als ich »General Bonaparte« sagte. »Sein Majestät befindet sich auf der Bank im Labyrinth. Sie kennen doch das Labyrinth und seine Bank, Désirée?«
»Ich kenne den Park sehr genau«, flüsterte ich und wandte mich zum Gehen. Hinter mir klirrten Sporen. »Bleiben Sie zurück, Graf von Rosen, diesen Weg muss ich allein gehen.« Ich kenne die Irrgänge des Labyrinths, dasJosephine so reizend anlegen ließ. Ich weiß, wie man es anstellt, um sich nicht in den Hecken zu verirren, sondern ganz plötzlich und überraschend auf die kleine weiße Bank zu stoßen, auf der nur zwei, die dicht nebeneinander sitzen wollen, Platz finden können. Auf dieser kleinen Bank saß Napoleon. Er trug die grüne Uniform der Gardejäger, sein dünn gewordenes Haar war sorgfältig zurückgestrichen. Das Gesicht mit den blassen, feisten Wangen und dem herrischen Kinn war in die Hand gestützt. Blicklos starrte er auf die blühende Hecke vor ihm. Als ich ihn sah, wurde ich plötzlich ganz ruhig. Mit der Angst verlöschte die Süße aller Erinnerungen. Ich überlegte sogar, wie ich ihn ansprechen sollte, um ihn auf mich aufmerksam zu machen. Dann fiel mir ein, dass das vollkommen gleichgültig war, wir beide waren ja ganz allein im Labyrinth der duftenden Hecken … Aber noch bevor ich ihn anrief, wandte er ein wenig den Kopf. Sein Blick streifte mein weißes Kleid. »Josephine –«, murmelte er. »Josephine, rufst du mich wirklich schon zum Essen?« Und erst, weil keine Antwort kam, wurde er aufmerksam. Sein Blick kehrte in die Wirklichkeit zurück, betrachtete das weiße Kleid und erkannte mich, wurde überrascht und sehr erfreut. »Eugénie – bist du doch noch gekommen?« Nein, niemand hörte, dass er mich Eugénie rief. Niemand sah, dass er ein wenig auf der kleinen Bank für zwei, die dicht nebeneinander sitzen wollen,
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