Désirée
zur Seite rückte. Als ich mich dicht neben ihn setzte, betrachtete er mich lächelnd. »Wir beide haben viele Jahre lang nicht nebeneinander eine blühende Hecke angeschaut.«
Und, weil ich noch immer nichts sagte – »Du erinnerst dich doch daran, Eugénie?« Dabei strich er sich – noch immer lächelnd – eine Haarsträhne, die längst nicht mehr vorhanden war, aus der Stirn. »Man hat Zeit, sich zu erinnern, während man wartet. Ich warte nämlich auf eineBotschaft der Regierung. Eine ungemein wichtige Botschaft.« Seine Brauen zogen sich zusammen, zwei steile Falten standen über der Nasenwurzel, das Kinn schob sich vor. »Und ich bin nicht gewohnt, zu warten.«
»Sie müssen nicht länger warten, General Bonaparte. Ich bringe die Antwort der Regierung.« Schnell zog ich das versiegelte Schreiben aus meinem Pompadour. Ich hörte ihn hastig das Siegel aufbrechen. Ich sah ihn nicht an, während er las. »Wie kommt es, dass gerade Sie mir dieses Schreiben übermitteln, Madame? Findet es die Regierung nicht einmal für notwendig, mir ihre Antwort durch einen Minister oder einen Offizier zu senden? Ein zufälliger Gast, eine Dame, die mir einen freundschaftlichen Besuch abstattet, wird zum Boten ausersehen!«
»Ich bin kein zufälliger Gast, General Bonaparte. Auch keine Dame, die Ihnen einen Freundschaftsbesuch abstattet«, sagte ich und schöpfte tief Atem. »Ich bin die Kronprinzessin von Schweden, General Bonaparte.«
»Und was wollen Sie damit sagen, Madame?«, fragte er zwischen den Zähnen. »Die französische Regierung hat mich ersucht, Ihnen mitzuteilen, dass die Verbündeten nur dann Verhandlungen zur Übergabe von Paris einzuleiten gedenken, wenn Sie Frankreich verlassen. Um Paris vor Zerstörung zu schützen, ist es notwendig, dass Sie noch heute abreisen.« »Ich biete der Regierung an, den Feind vor den Toren von Paris zurückzuschlagen, und man lehnt mein Anerbieten ab«, brüllte er auf. »Die ersten verbündeten Truppen haben Versailles erreicht«, sagte ich ruhig. »Wollen Sie sich hier in Malmaison gefangen nehmen lassen?« »Seien Sie unbesorgt, Madame, ich werde mich schon zu verteidigen wissen!« »Darum geht es ja, General. Man will unnötiges Blutvergießen verhüten.« Seine Augen waren ganz schmal, zwei Schlitze nur, aus denen es schillerte. »So – will man? Und wenn es für die Ehre einerNation notwendig ist?« Ich könnte von den Millionen sprechen, die für die Ehre dieser Nation gefallen sind, dachte ich. Aber er kennt die Zahlen besser als ich. Ich biss die Zähne zusammen. Nicht nachgeben. Hier auf dieser Bank sitzen bleiben und nicht nachgeben … Aber er war aufgestanden. Wahrscheinlich wollte er auf und ab laufen. Dazu war im Herzen des Labyrinths kein Platz. Wie in einem Käfig, dachte ich und erschrak über den Gedanken. »Madame –«, er stand so dicht vor mir, dass ich den Kopf zurücklegen musste, um sein Gesicht zu sehen. »Sie sagen, die französische Regierung wünscht, dass ich abreise. Und – die Verbündeten?« Sein Gesicht war verzerrt, in den Mundwinkeln standen Speichelbläschen. »Die Verbündeten bestehen auf Ihrer Gefangennahme, General!« Noch einen Augenblick sah er mich unverwandt an. Dann wandte er mir den Rücken zu und lehnte sich an die Hecke. »In diesem Papierwisch der so genannten französischen Regierung, den Sie mir soeben überbracht haben, Madame, wird wieder auf die Fregatten in Rochefort hingewiesen. Ich soll reisen, wohin es mir beliebt! – Madame, warum liefert mich die Regierung nicht aus?«
»Ich glaube, es ist den Herren peinlich.« Er drehte sich um und sah mich wieder an. »Ich müsste also nur eines der Schiffe besteigen und mein Ziel nennen und –«
»Der Hafen von Rochefort wird wie alle anderen Häfen von englischen Marinefahrzeugen bewacht. Sie würden nicht weit kommen, General.« Er brüllte nicht, er tobte nicht, er setzte sich ganz still neben mich. Wir hatten so wenig Platz, dass ich jeden seiner Atemzüge mit ihm teilen musste. Zuerst atmete er sehr schwer. »Als ich Sie vorhin plötzlich sah und Ihr Gesicht erkannte, Madame, da war mir einen Augenblick lang, als ob meine Jugend zurückgekommen sei. Ich habe mich geirrt – Königliche Hoheit!« »Warum? Ich erinnere mich noch sehr genau an dieAbende, an denen wir um die Wette gelaufen sind. Sie waren damals schon General, ein sehr junger und schöner General…« Ich sprach wie im Traum, die Worte kamen ganz von selbst, es war heiß und still, und die Hecke duftete.
Weitere Kostenlose Bücher