Désirée
fragte tonlos: »Hoheit sind doch nicht gegen Ihren Vater eingestellt?«
»Nein, sonst würde mich das alles nicht so aufregen … Madame, die Außenpolitik meines Vaters hat Schweden eine Stellung in Europa eingeräumt, die kein Mensch für möglich gehalten hätte. Seine Handelspolitik hat diesen bankrotten Staat in ein blühendes Land verwandelt.Schweden hat diesem Mann seine Freiheit zu verdanken. Aber gleichzeitig kämpft heute derselbe Mann gegen jede liberale Strömung im Reichstag an. Und warum? Weil sich Seine Majestät einbildet, dass Liberalismus zu einer Revolution führen und jede Revolution ihn die Krone kosten muss. Von Revolution ist in Skandinavien gar keine Rede. Nur von gesunder Evolution. Aber das kann ein ehemaliger Jakobiner nicht begreifen. Langweile ich Sie, Madame?« Ich schüttelte den Kopf. »Es ist so weit gekommen, dass manche Leute – nur vereinzelte, Madame, keine Partei – davon sprechen, dem König die Abdankung vorzuschlagen. Eine Abdankung – zu meinen Gunsten.« »Das – das dürfen Sie nicht einmal denken, geschweige denn aussprechen, Hoheit!«, flüsterte ich mit bebenden Lippen.
Seine schmalen Schultern sackten vornüber. »Ich bin müde, Madame. Komponist wollte ich werden. Was ist daraus geworden? Ein paar Lieder, ein paar Militärmärsche. Eine Oper habe ich begonnen und finde nicht die Zeit, sie zu beenden. Weil ich nicht nur meine Pflichten als Kronprinz und Artilleriegeneral erfüllen muss, sondern auch unausgesetzt vermitteln. Ich, Madame, ich – muss meinem Vater beibringen, dass die Französische Revolution auch in Schweden zu Veränderungen geführt hat. Papa sollte Bürger empfangen, anstatt alle Hofstellen dem alten Adel zu lassen. Papa müsste aufhören, bei jeder Reichstagseröffnung eine Rede über seine Verdienste als Feldherr zu halten und über die großen Summen seines Privatvermögens, die er Schweden geopfert hat. Papa müsste –« Da konnte ich es nicht länger aushalten, ich musste ihn unterbrechen: »Und diese Koskull?«
»Ich glaube nicht, dass sie jemals mehr als Lieder für ihn gesungen hat. Obwohl – schließlich war Papa ein Mann in den besten Jahren, als seine Einsamkeit begann,nicht wahr? Übrigens hatte er die vorsintflutliche Vorstellung, dass Kronprinzen von erfahrenen und durch ein bis zwei Generationen bewährten Mätressen in die Kunst der Liebe eingeführt werden. Madame, neulich hat er mir die Koskull um Mitternacht in mein Zimmer geschickt – mit der Gitarre bewaffnet!« »Ihr Papa hat es gut gemeint, Hoheit!« Er wehrte ab. »Mein Vater sperrt sich in seinem Arbeitszimmer ein und hat keinen Kontakt mehr mit der Wirklichkeit. Ihm fehlt eben –«, er unterbrach sich und schenkte wieder die Gläser voll. Er hatte steile Falten auf der Stirn, die an Jean-Baptiste erinnerten. Der Champagner schmeckte schal. »Als ich ein Kind war, Madame, wollte ich durchaus die Krönung Napoleons sehen. Ich durfte nicht, ich weiß nicht mehr, warum. Aber ich erinnere mich, dass meine Mutter bei mir im Kinderzimmer sag und sagte: ›Wir werden eben zu einer anderen Krönung gehen, Oscar. Wir beide. Mama verspricht es dir. Und es wird eine viel schönere Krönung sein als die morgige, glaub mir, viel schöner …‹ Ja, Madame, ich war bei einer Krönung. Aber meine Mutter ist nicht gekommen. Aber Sie lassen ja Tränen in Ihr Champagnerglas rollen?«
»Ihre Mutter heißt Desideria – die Erwünschte! Vielleicht war sie damals nicht erwünscht.«
»Nicht erwünscht? Mein Vater lässt sie in zwei wunderschönen Ländern zur Königin ausrufen und sie – sie kommt nicht einmal hin! Glauben Sie, dass sich ein Mann wie mein Vater dazu entschließt, sie zu bitten?«
»Vielleicht eignet sich Ihre Mutter nicht zu einer Königin, Hoheit.« »Zu den Fenstern meiner Mutter hat das Volk von Paris ›Notre Dame de la Paix‹ hinaufgebrüllt, weil sie einen Bürgerkrieg verhindert hat. Meine Mutter hat Napoleon den Säbel entrissen –«
»Nein, den hat er ihr gegeben!«
»Madame, meine Mutter ist eine wunderbare Frau.Aber sie ist mindestens ebenso eigensinnig wie mein Vater. Ich erkläre Ihnen, dass die Anwesenheit der Königin in Schweden nicht nur erwünscht, sondern dringend notwendig ist.«
»Wenn es sich so verhält, dann wird die Königin natürlich kommen«, sagte ich leise. »Mama! Gott sei Dank, Mama! Und jetzt nimm endlich den Schleier ab, damit ich dich anschauen kann, richtig anschauen – ja, du hast dich verändert! Du bist schöner
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