Désirée
Frühlingsschleiern. »Unser schönes Land«, wiederholte die Enkelin Josephines neben mir und trank mit strahlenden Augen das Bild der Birkenwälder. »Soll Pierre sein Holzbein schon anschnallen?«, fragte Marie wieder. Pierre saß neben seiner Mutter auf Deck und wollte bei der Ankunft dicht hinter mir stehen – auf Krücken und ein Holzbein gestützt. »Wir nähern uns Vaxholm, Majestät«,erklärte mir Kammerherr Graf Gustaf Löwenhjelm und reichte mir einen Feldstecher. »Vaxholm ist eine unserer stärksten Festungen.« Die Birken, dachte ich, ich habe noch nie im Leben so viele Birken auf einmal gesehen … Unser Land, nennt es die Sternschnuppe – unser Land? Marceline und Marius begleiteten mich. Etienne schrieb mir so dankbar, weil ich seine Tochter zu meiner Obersthofmeisterin ernannt habe. Und Marius wird weiter meine Finanzen verwalten und den schwedischen Hofbeamten spielen, anstatt endlich die Firma Clary zu übernehmen. Mein Stückchen Frankreich, das mit mir reist – Marceline, Marius, Marie und Pierre. Und Yvette natürlich, die Einzige, die außer Julie meine widerspenstigen Haare frisieren kann. Julie … Wie stark sind doch schwache Menschen! Wie fest haben ihre durchsichtigen blutlosen Finger meinen Arm umklammert – so viele Jahre lang. »Verlass mich nicht, Désirée, schreib noch ein Gesuch an den französischen König, ich möchte wieder in Paris wohnen, bleib in meiner Nähe, hilf mir, hilf mir …« Meine Gesuche waren erfolglos, aber ich bin immer in ihrer Nähe geblieben. Bis sie mir bei der Hochzeit ihrer Tochter erklärte: »Zenaïde wird mit ihrem Mann in Florenz wohnen. Italien erinnert mich an Marseille, ich werde mit dem jungen Paar nach Florenz übersiedeln.« Und Joseph, der so viel über seine Rinderzucht und die Eisenbahnaktien des Staates New Jersey erzählt hatte, sagte plötzlich: »Als ich geboren wurde, war Korsika noch italienisch. Wenn ich alt werde, komme ich zu dir nach Italien.« Julie schob ihren Arm unter den seinen. »So ordnet sich alles aufs Beste«, bemerkte sie – sehr gleichgültig und sehr zufrieden. Mich hatte sie ganz vergessen … »Ich bin ja so glücklich, Mama«, flüsterte die Sternschnuppe neben mir. »Vom ersten Augenblick an – damals bei Tante Hortense – haben Oscar und ich gespürt, dass wir füreinander bestimmt sind. Aber ich warüberzeugt, dass Sie und Seine Majestät es nie erlauben würden!« »Warum denn, mein Kind?«
»Weil – Mama, ich bin doch nur die Tochter des Herzogs von Leuchtenberg. Oscar hätte eine ganz andere Partie machen können. Nicht wahr, Sie haben mit einer Prinzessin aus königlichem Haus gerechnet, Mama?« Birken im gelbgrünen Frühlingsschleier, himmelblaue Wellen, das Kind hat mich etwas gefragt und hält den kleinen Lockenkopf etwas schief wie die verstorbene Josephine. »Gerechnet, Josefina? Man rechnet nicht, man hofft, wenn es sich um das Glück seines Sohnes handelt.« Ein Kanonenschuss krachte. Ich fuhr vor Schreck zusammen. Die Festung Vaxholm begrüßte uns. Da wusste ich, dass ich nicht mehr viel Zeit hatte. Nicht rechnen, nur hoffen, von ganzem Herzen hoffen … »Denk daran, Josefina, wenn sich deine Kinder verlieben werden. Warum errötest du? Weil ich von deinen Kindern spreche? Liebling, als kleines Mädchen hast du mir nicht glauben wollen, dass Enten Eier legen. Jetzt wirst du mir doch nicht einreden, dass du begonnen hast, an den Storch zu glauben! Ich weiß nicht, ob wir in den kommenden Jahren oft Gelegenheit haben, unter vier Augen zu sprechen. Deshalb beeile ich mich, dich zu bitten, deinen Kindern jede Liebesheirat zu erlauben. Versprich mir das, ja?«
»Aber die Thronfolge, Mama?«
»Du wirst mehrere Kinder haben. Einem deiner Söhne wird schon eine Prinzessin gefallen, überlass das dem Schicksal. Aber lehre alle Bernadottes, dass man nur aus Liebe heiratet!« Der Wimpernschleier flattert vor Entsetzen. »Und, wenn es sich um eine Bürgerliche handelt? Bedenken Sie doch, Mama!« »Was gibt es da zu bedenken, Josefina? Wir sind bürgerlicher Herkunft – wir Bernadottes.« Die Salutschüsse donnerten. Ein kleines Boot steuerte auf uns zu. Da hob ich den Feldstecher vor die Augen.»Josefina, du musst dir schnell die Nase pudern, Oscar kommt an Bord!« Die Kanonenschüsse hörten nicht mehr auf. Die Küste war schwarz vor Menschen, der Wind trug ihren Jubel durch die blaue Luft, und immer mehr kleine Boote mit Girlanden tanzten um unser Schiff. Oscar und Josefina standen dicht
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