Désirée
hat. Jeden Tag bringt er neue Bücher angeschleppt, und das Kabinett heißt bei uns »das Arbeitszimmer«. Im oberen Stockwerk gibt es nur ein schönes Schlafzimmer und eine winzige Kammer. Den Dachboden ließ Jean-Baptiste in zwei kleine Räume verwandeln, in denen Marie und Fernand schlafen sollen. Ich habe nämlich Marie in die Ehe mitgebracht und Jean-Baptiste seinen Fernand. Marie und Fernand streiten von früh bis abends. Mama wollte natürlich seinerzeit Marie nach Genua mitnehmen,aber Marie weigerte sich. Sie verriet aber nichts über ihre Zukunftspläne, sondern mietete sich einfach in Marseille ein Zimmer und verdiente ihren Unterhalt als Aushilfsköchin bei Leuten, die stolz darauf waren, bei ihren Familienfesten die »ehemalige Köchin der Madame Clary« in der Küche regieren zu lassen. Obwohl Marie mir niemals darüber geschrieben hat, so wusste ich, dass sie einfach in Marseille saß und wartete. Am Morgen nach meiner Verlobung schrieb ich ihr einen kurzen Brief. »Ich habe mich mit dem General B. von der Brücke, von dem ich dir einmal erzählt habe, verlobt. Wir heiraten, sobald er ein passendes Haus gefunden hat. Wie ich ihn kenne, treibt er dieses Haus in vierundzwanzig Stunden auf. Wann kannst du zu mir kommen?« Auf diesen Brief bekam ich keine Antwort. Eine Woche später war Marie in Paris.
»Hoffentlich verträgt sich nur deine Marie mit meinem Fernand«, sagte Jean-Baptiste. »Wer ist dein Fernand?«, fragte ich erschrocken. Es stellte sich heraus, dass Fernand aus Jean-Baptistes Heimatstadt Pau in der Gascogne stammt, mit ihm in die Schule gegangen ist und dass sich beide gemeinsam zum Militär meldeten. Während jedoch Jean-Baptiste ununterbrochen befördert wurde, hatte Fernand die größte Mühe, nicht aus der Armee geworfen zu werden. Fernand ist nämlich klein und sehr dick, und wenn er marschieren soll, tun ihm die Füße weh. Jedes Mal, wenn zum Angriff getrommelt wird, bekommt Fernand schreckliches Magenweh. Dafür kann er natürlich nichts, und es ist sehr unangenehm für ihn. Trotzdem wollte er durchaus Soldat bleiben, um immer in Jean-Baptistes Nähe zu sein. Er putzt leidenschaftlich gern Stiefel und kann die schlimmsten Fettflecken im Handumdrehen aus einer Uniformjacke fortzaubern. Vor zwei Jahren ist Fernand in Ehren aus der Armee entlassen worden, um sich völlig den Stiefeln, Fettflecken und leiblichenBedürfnissen von Jean-Baptiste zu widmen. »Ich bin der Kammerdiener meines Generals und Schulkollegen Bernadotte«, sagte er, als er mir vorgeführt wurde. Fernand und Marie begannen sofort zu streiten. Marie behauptet, dass Fernand aus der Speisekammer stiehlt, während Fernand meine Marie beschuldigt, sich an seinen Schuhbürsten – er hat vierundzwanzig – und der Leibwäsche seines Generals, die sie, ohne ihn zu fragen, waschen wollte, vergriffen zu haben.
Als ich zum ersten Mal unser Häuschen sah, sagte ich zu Jean-Baptiste: »Ich muss Etienne schreiben, dass dir meine Mitgift sofort ausgezahlt werden soll.«
Jean-Baptiste blähte voll Verachtung die Nasenflügel auf: »Sag einmal, wofür hältst du mich eigentlich? Glaubst du, dass ich mir mit dem Geld meiner Braut ein Heim einrichten will?« »Aber Joseph hat doch auch für Julies Mitgift –«, begann ich. »Ich bitte, mich nicht mit den Bonapartes zu vergleichen«, kam es scharf. Dann legte er den Arm um meine Schultern und schüttelte mich lachend: »Kleines Mädchen, kleines Mädchen – heute kann dir der Bernadotte nur ein Puppenhaus in Sceaux kaufen! Aber wenn du dich nach einem Schloss sehnen solltest, so –« Ich schrie geradezu auf: »Um Himmels willen, nur das nicht! Versprich mir, dass wir nie in einem Schloss wohnen werden, ja?« Voll Schrecken dachte ich an die langen Monate in den italienischen Palästen zurück, und mir fiel plötzlich ein, dass sie Bernadotte einen der »kommenden Männer« nennen. Seine goldenen Epauletten funkelten gefährlich. »Versprich mir – niemals ein Schloss!«, flehte ich. Er sah mich an, langsam verblasste das Lächeln auf seinem Gesicht. »Wir gehören zusammen, Désirée«, sagte er. »In Wien habe ich in einem Barockpalais gewohnt. Morgen dagegen kann ich an eine Front kommandiert werden und mein Feldbett irgendwo unter freiem Himmel aufstellen.Übermorgen wiederum könnte mein Hauptquartier in einem Schloss liegen, und ich würde dich bitten, zu mir zu kommen. Würdest du dich weigern?«
Wir standen unter dem breiten Kastanienbaum unseres zukünftigen Gartens,
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