Désirée
unsere Republik zu hoch.«
Ich wusste, dass Joseph und Junot noch in derselben Nacht an Napoleon schreiben würden, dass mein Mann ihn einen Hasardeur nannte. Was ich jedoch nicht wusste und auch sonst niemand in Paris ahnte, war die Tatsache, dass vor genau sechzehn Tagen die Engländer unter dem Kommando eines gewissen Admirals Nelson die ganze französische Flotte in der Bucht von Aboukir angegriffen und so gut wie vernichtet hatten. Und dass General Bonaparte verzweifelt eine Möglichkeit suchte, irgendeine Verbindung mit Frankreich herzustellen, und vor einem Wüstenzelt auf und ab marschierte und sich und seine Soldaten bereits im glühenden Sand verkommen sah. Nein, niemand ahnte an meinem Hochzeitsabend, dassJean-Baptiste Bernadotte genau voraussagte, was bereits eingetreten war.
Als ich zum zweiten Mal verstohlen gähnte, was sich für eine Braut nicht schickt, aber ich heiratete ja zum allerersten Mal in meinem Leben und wusste nicht genau, wie man sich dabei benimmt, stand Jean-Baptiste auf und sagte ruhig: »Es ist spät geworden, Désirée, ich glaube, wir sollten nach Hause gehen.« Da war es – zum ersten Mal dieses vertraute: Wir sollten nach Hause gehen … Am unteren Ende des Tisches stießen sich die Backfische Caroline und Hortense verstohlen an und kicherten. Mein gemütlicher Onkel Somis blinzelte mir vertraulich zu und tätschelte meine Wange, als ich mich von ihm verabschiedete: »Hab keine Angst, Kleine, der Bernadotte wird dir schon nicht den Kopf abbeißen …«
Wir fuhren im offenen Wagen durch die drückend heiße Spätsommernacht nach Sceaux hinüber. Die Sterne und ein runder, sehr gelber Mond waren zum Greifen nahe, und es schien kein Zufall zu sein, dass unser Heim in der Rue de la Lune liegt. Als wir eintraten, sahen wir, dass das Esszimmer hell erleuchtet war. Hohe Kerzen brannten in dem schweren silbernen Leuchter, den uns Josephine in ihrem und Napoleons Namen zur Hochzeit geschenkt hatte. Ein weißes Damasttuch schimmerte, und auf dem Esstisch fanden wir Champagnergläser und eine Schüssel mit Weintrauben, Pfirsichen und Marzipangebäck. Aus dem Weinkühler ragte eine Champagnerflasche. Dabei war kein Mensch zu sehen, tiefe Stille im ganzen Haus. »Das hat Marie vorbereitet«, lächelte ich. Aber Jean-Baptiste sagte sofort: »Nein, es war Fernand!« – »Ich kenne doch Maries Marzipankuchen«, beharrte ich und ließ einen auf der Zunge zergehen. Jean-Baptiste betrachtete nachdenklich die Champagnerflasche. »Wenn wir heute Nacht noch mehr trinken, haben wir morgen entsetzlicheKopfschmerzen«, meinte er. Ich nickte und öffnete die Glastür, die zum Garten hinausführt. Es duftete nach halb verblühten Rosen, die Riesenzacken der Kastanienblätter hatten versilberte Umrisse. Hinter mir blies Jean-Baptiste die hohen Kerzen aus. Unser Schlafzimmer war stockfinster, aber ich tastete mich schnell zum Fenster durch und zog die Vorhänge auseinander und ließ die silbernen Strahlen ein. Ich hörte, dass Jean-Baptiste in die Kammer nebenan getreten war und sich dort zu schaffen machte. Wahrscheinlich will er mir Zeit geben, mich auszukleiden und zu Bett zu gehen, dachte ich und war ihm für seine Rücksicht sehr dankbar. Schnell streifte ich mein Kleid ab, trat an das breite Doppelbett, fand mein Nachthemd, das ausgebreitet auf der Seidendecke lag, warf es über, schlüpfte schnell unter die Decke – schrie gellend auf.
»Um Gottes willen, Désirée – was ist denn?« Jean-Baptiste stand neben dem Bett. »Ich weiß nicht, irgendetwas hat mich entsetzlich gestochen –« ich bewegte mich. »Au, au – da sticht es schon wieder!« Jean-Baptiste zündete eine Kerze an, ich richtete mich auf und schlug die Decke zurück: Rosen, Rosen und wieder Rosen mit spitzen Dornen. »Welcher Idiot –?«, entfuhr es Jean-Baptiste, während wir fassungslos das Rosenlager betrachteten. Ich begann die Rosen aufzusammeln. Jean-Baptiste hielt unterdessen die breite Steppdecke hoch. Immer mehr Rosen fischte ich aus dem Bett. »Es war wahrscheinlich Fernand«, murmelte ich, »er wollte uns überraschen!«
»Da tust du dem Burschen Unrecht, es war natürlich deine Marie«, entgegnete Jean-Baptiste sofort. »Rosen – ich bitte dich, Rosen im Bett eines Frontsoldaten!« Die Rosen, die ich aus dem Bett des Frontsoldaten gefischt hatte, lagen jetzt auf dem Nachttisch und dufteten atemberaubend süß. Plötzlich wurde mir bewusst, dassJean-Baptiste mich anschaute und dass ich nur ein Nachthemd trug.
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