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Désirée

Désirée

Titel: Désirée Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annemaire Selinko
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Republikanerin, die bestenfalls ab und zu mit Staatsoberhaupt Paul Barras, von dem es heißt, dass er junge Mädchen zu kneifen versucht, bei Joseph diniert. Weil ich nicht über den Anstandsunterricht schrieb, brachte ein Kurier mir folgenden Briefmeines Jean-Baptiste: »Du erwähnst nichts über deine Fortschritte in Tanz, Musik und anderen Fächern. Da ich so weit entfernt bin, freut es mich, dass meine kleine Freundin ihre Lektionen ausnutzt. Dein J.-Bernadotte.« Diesen Brief erhielt ich an einem Vormittag, an dem mir besonders miserabel zumute war und ich gar keine Lust hatte aufzustehen. Ich lag einsam im breiten Doppelbett und wollte weder für Julie, die mich besuchen kam, noch für mich selbst und meine Gedanken zu Hause sein. Dann kam der Brief. Auf den Bogen, die Jean-Baptiste auch für seine Privatbriefe benutzt, steht gedruckt: »République Française« und darunter »Liberté – Egalité«. Ich knirschte mit den Zähnen. Warum soll ich, die Tochter eines braven Seidenhändlers aus Marseille, durchaus zur »feinen Dame« erzogen werden? Jean-Baptiste ist wahrscheinlich ein großer General und einer der »kommenden Männer«, aber er ist doch aus ganz einfacher Familie und überhaupt – in der Republik sind alle Bürger gleich, und ich will gar nicht in Kreise kommen, in denen man mit affektierten Handbewegungen seine Gäste herumdirigiert. Ich stand deshalb auf und schrieb ihm einen langen wütenden Brief. Während ich schrieb, weinte ich und machte Tintenflecken. Ich habe keinen alten Moralprediger geheiratet, schrieb ich, sondern einen Mann, von dem ich glaubte, dass er mich versteht, und das Männchen mit dem hässlichen Atem, das mich Fingerübungen machen lässt und dieser parfümierte Monsieur Montel können zum Teufel gehen, ich habe genug von ihnen, genug, genug … Und dann versiegelte ich ganz schnell den Brief, ohne ihn durchzulesen, und bat Marie, sofort einen Wagen zu nehmen und ihn ins Kriegsministerium zu bringen, damit er gleich ins Hauptquartier des Generals Bernadotte weiterbefördert wird. Am nächsten Tag hatte ich natürlich bereits Angst, dass Jean-Baptiste richtig böse werdenkönnte. Ich fuhr zu meiner Lektion bei Montel und saß nachher zwei Stunden am Klavier und übte Skalen und versuchte das kleine Mozartmenuett, mit dem ich Jean Baptiste bei seiner Rückkehr überraschen will. In mir sah es genauso trüb und grau aus wie in unserem Garten mit dem nackten Kastanienbaum. Eine ganze Woche schlich vorüber, und endlich kam Jean-Baptistes Antwortbrief. »Ich habe noch nicht zu wissen bekommen, liebe Désirée, was du in meinem Brief als verletzend empfunden hast … Ich will dich durchaus nicht wie ein Kind behandeln, sondern wie eine liebende und verständnisvolle Gattin. Alles, was ich sage, müsste dich davon überzeugen …« Und dann begann er schon wieder über die Vollendung meiner Erziehung zu sprechen und teilte mir salbungsvoll mit, dass man seine Kenntnisse durch »harte und ausdauernde Arbeit« erwirbt. Zuletzt verlangte er: »Schreibe mir und sage mir, dass du mich liebst.« Auf diesen Brief habe ich ihm bis heute noch nicht geantwortet. Denn jetzt ist etwas passiert, was mir weiteres Briefschreiben unmöglich macht. Gestern Vormittag saß ich wie so oft allein in Jean-Baptistes Arbeitskabinett und drehte an der Erdkugel herum, die er auf einem Tischchen aufgestellt hat, und wunderte mich, wie viele Länder und Erdteile es gibt, von denen ich gar nichts weiß. Da kam Marie herein und brachte mir eine Tasse Bouillon. »Trink das, du musst darauf sehen, dass du stärkende Sachen zu dir nimmst«, sagte sie. »Warum? Es geht mir doch sehr gut. Ich werde sogar immer dicker. Das Gelbseidene spannt mich bereits in der Taille«, meinte ich und schob die Tasse weg. »Außerdem ekelt mir vor fetten Suppen!« Marie wandte sich zur Tür. »Du musst dich zum Essen zwingen. Du weißt sehr gut, warum.« Ich fuhr auf: »Warum?« Marie lächelte. Dann trat sie plötzlich auf mich zu und wollte mich an sich drücken. »Du weißt es selbst, nicht wahr?« Aber ich stieß sie weg und schrie: »Nein, ichweiß es nicht! Und es ist auch nicht wahr, es ist bestimmt nicht wahr!« Dann lief ich hinauf ins Schlafzimmer und sperrte die Tür hinter mir ab und warf mich aufs Bett.
    Natürlich hatte ich schon selbst daran gedacht. Aber ich habe den Gedanken immer gleich weggeschoben. Es kann nicht wahr sein, es ist ganz unmöglich, es – ja, es wäre so schrecklich! Es kann doch geschehen, dass

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