Desperation
verloren.
»Gott«, sagte er.
»Gott, Sie Dummkopf«, sagte Mary und lächelte auf eine
Weise, die ihr völlig fremd vorkam. Es war vielleicht nicht der
richtige Zeitpunkt, Marinville zu reizen, aber sie konnte nicht
anders.
»Vielleicht hättest du Mr. Marinvilles Freund einfach sagen
sollen, daß er kommen und uns abholen soll«, sagte Ralph
zweifelnd. »Wahrscheinlich wäre das am einfachsten gewesen, David.«
»Es ist nicht einfach«, entgegnete David. »Steve wird es
euch erzählen, wenn sie hier sind.«
»Sie?« fragte Marinville.
David ignorierte ihn. Er sah seinen Vater an. »Außerdem ist
da noch Mom«, sagte er. »Der Cop hat Mom mitgenommen.
Wir gehen nicht ohne sie weg.«
»Was werden wir gegen die da unternehmen?« fragte Mary
und deutete auf die andere Straßenseite zu den Kojoten. Sie
hätte schwören können, daß sie die Geste nicht nur sahen,
sondern auch verstanden.
Marinville trat vom Bürgersteig auf die Straße; sein langes
Haar wehte ihm um den Kopf und verlieh ihm das Aussehen
eines alttestamentarischen Propheten. Die Kojoten erhoben
sich, und der Wind trug Mary das Geräusch ihres Knurrens
zu. Marinville mußte sie ebenfalls hören, ging aber trotzdem
einen oder zwei Schritte weiter. Er kniff einen Moment die
Augen ein wenig zu, nicht als mache ihm der Sand zu schaffen, sondern als versuche er, sich an etwas zu erinnern. Dann
klatschte er einmal schallend in die Hände. »Tak!« Einer der
Kojoten hob die Schnauze und heulte. Mary erschauerte bei
dem Geräusch. »Tak, ah lah! Tak!«
Die Kojoten schienen ein wenig dichter zusammenzurücken, aber das war alles.
Marinville klatschte wieder in die Hände. »Tak!… Ahlah …
Tak!l … oh, scheiß drauf, ich war sowieso nie gut in Fremdsprachen.« Er stand da, das Handy in einer Hand, und sah
verdrossen und unsicher drein. Daß sie ihn angreifen könnten
- ihn mit seiner ungeladenen Mossberg .22 - schien ihm überhaupt nicht in den Sinn zu kommen.
David trat vom Bürgersteig herunter. Sein Vater hielt ihn
am Kragen fest. »Nein, schon gut, Dad«, sagte David.
Ralph ließ los, folgte David aber, als er zu Marinville ging.
Dann sagte der Junge etwas, von dem Mary glaubte, daß sie
sich daran erinnern würde, auch wenn ihr Verstand versuchen sollte, alles andere zu verdrängen - es war etwas, das
einen in Träumen heimsuchte, wenn schon sonst nicht.
»Sprechen Sie nicht in der Sprache der Toten zu ihnen, Mr.
Marinville.«
David ging noch einen Schritt vorwärts. Nun stand er allein
mitten auf der Straße, Ralph und Marinville hinter ihm. Mary
und Billingsley standen noch weiter zurück auf dem Bürgersteig. Das Heulen des Windes war zu einem einzigen schrillen
Kreischen geworden. Mary konnte spüren, wie der Staub auf
ihren Wangen und ihrer Stirn brannte, doch das schien im
Augenblick fern und nebensächlich zu sein.
David preßte vor dem Mund die Hände zusammen, Finger
auf Finger, die Gebetsgeste eines Kindes. Dann streckte er sie
mit nach oben gekehrten Handflächen in Richtung der Kojeten aus. »Der Herr segne und behüte euch, der Herr lasse sein
Angesicht leuchten über euch, erhebe euch und gebe euch
Frieden«, sagte er. »Und jetzt verschwindet von hier. Zieht
Leine.«
Es war, als wäre ein Bienenschwarm über sie hergefallen.
Sie wirbelten linkisch herum, eine chaotische Masse von
Schnauzen und Ohren und Zähnen und Schwänzen, und bissen einander und sich selbst in die Flanken. Dann rannten sie
davon und kläfften und heulten, als hätten sie eine schmerzhafte Auseinandersetzung. Sie konnte sie trotz des pfeifenden
Windes eine lange Zeit hören.
David drehte sich um, sah in ihre fassungslosen Gesichter ihre Mienen waren so deutlich, daß man sie nicht einmal im
Halbdunkel übersehen konnte
- und lächelte schüchtern. Er
zuckte die Achseln, als wollte er sagen: Nun, was wollt ihr da
machen? Mary stellte fest, daß sein Gesicht immer noch von
Irischem-Frühlings-Grün getönt war. Er sah aus, als wäre er
zu Halloween von einem Stümper geschminkt worden.
»Kommt«, sagte David. »Gehen wir.«
Sie drängten sich auf der Straße zusammen. »Und ein kleiner Knabe soll sie führen«, sagte Marinville. »Dann komm,
Knabe - führe uns.«
Zu fünft gingen sie auf der Main Street nach Norden, auf
das American West zu.
Kapitel 5
1
»Ich glaube, das ist es.« Cynthia deutete zum Fenster hinaus.
»Siehst du es?«
Steve, der gebückt über dem Lenkrad saß und mit zusammengekniffenen Augen durch die blutverschmierte Windschutzscheibe sah (wobei der
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