Desperation
Herrlich, zu herrschen,
selbst in der Wüste. Der Junge ist nur ein Junge. Die ändern sind
nur Nahrung. Tak ist jetzt hier, und er spricht mit der Stimme der
Vorzeit; mit der Stimme des Ungeformten.
Sie sah den Flur entlang zur Treppe. Sie nickte, schob die
rechte Hand in die Tasche ihres Kleids, berührte die Sachen,
die sie dort hatte, und strich damit über ihren Oberschenkel.
Er war im Vorführraum. An der Tür zum Keller hing ein
großes Vorhängeschloß, also wo konnte er sonst stecken? »Him en tow«, flüsterte sie und setzte sich in Bewegung. Ihre
Augen waren groß, die Finger der rechten Hand machten sich
unablässig in der Tasche des Kleids zu schaffen. Ein leises
Klickern wie von Steinen ertönte darin.
3
Die Halbstarken, die im oberen Bereich des American West
ihre Partys gefeiert hatten, bis die Feuertreppe eingestürzt
war, waren Ferkel gewesen, aber sie hatten vorwiegend den
Flur und das Büro des Managers für ihre Ausschweifungen
benutzt; die anderen Räume waren weitgehend unberührt,
und die kleine Suite des Filmvorführers
- Projektionsraum,
Büro, winzige Toilette - sah noch so aus wie an dem Tag des
Jahres 1979, als fünf zigarettenrauchende Männer von Nevada Sunlite Entertainment hereingekommen waren, die
beiden riesigen Karbid-Projektoren abgebaut und sie nach
Reno mitgenommen hatten, wo sie immer noch wie gefallene Götzen in einem Lagerhaus voll ähnlicher Ausrüstung
standen.
David befand sich auf den Knien, er hielt den Kopf gesenkt,
die Augen geschlossen und die Hände vor dem Kinn zusammengepreßt. Das staubige Linoleum unter ihm war heller als
das umliegende. Direkt vor ihm befand sich ein zweites, helleres Rechteck. Hier hatten die alten Projektoren gestanden klappernde, kochendheiße Dinosaurier, die in diesem Raum
die Temperatur in manchen Sommernächten auf bis zu neunundvierzig Grad hochtreiben konnten. Links von David befanden sich die Schlitze, durch die sie ihre Lichtschwerter gebohrt und ihre überlebensgroßen Abbilder projiziert hatten.
Gregory Peck und Kirk Douglas, Sophia Loren und Jayne
Mansfield, ein junger Paul Newman, der Billardkugeln in die
Taschen jagt, eine alte, aber immer noch vitale Bette Davis, die
ihre an den Rollstuhl gefesselte Schwester terrorisiert.
Hier und da lagen staubige Filmrollen wie tote Schlangen
auf dem Boden. An den Wänden hingen alte Standbilder und
Plakate. Eines davon zeigte Marilyn Monroe, wie sie auf
einem U-Bahn-Gitter steht und versucht, ihren hochwehenden Rock nach unten zu drücken. Unter einen handgemalten
Pfeil, der auf ihr Höschen zeigte, hatte ein Witzbold geschrieben: Führen Sie behutsam Pflock A in Schlitz B ein und vergewissern Sie sich, daß das Werkzeug fest sitzt und nicht herausrutschen
kann. Ein seltsamer Geruch von Verfall herrschte hier drinnen,
nicht ganz Mehltau, auch nicht trockene Fäulnis. Es roch geronnen, als wäre etwas so richtig schlecht geworden, bevor es
ausgetrocknet war.
David bemerkte den Geruch nicht, ebensowenig wie er
Audrey hörte, die auf dem Flur vor dem Balkon leise seinen
Namen rief. Er war hierhergekommen, als die anderen zu Billingsley gelaufen waren
- sogar Audrey war zuerst bis zum
linken Bühnenrand gegangen, vielleicht um sich zu vergewissern, daß alle den Flur entlangliefen -, weil er den fast
übermächtigen Drang zu beten verspürt hatte. Er hatte eine
Ahnung, als käme es jetzt nur darauf an, ein ruhiges Plätzchen
zu finden und die Tür zu öffnen - diesmal wollte Gott mit ihm
reden, nicht umgekehrt. Und dies war ein geeigneter Platz
dafür. Bete in deiner Kammer und nicht auf der Straße, stand
in der Bibel, und David fand, daß das ein ausgezeichneter
Rat war. Jetzt, wo sich eine geschlossene Tür zwischen ihm
und den anderen befand, konnte er die Tür in seinem Inneren
öffnen.
Er hatte keine Angst, die Spinnen oder Schlangen oder Ratten könnten ihn beobachten; wenn Gott wollte, daß dies eine
private Zusammenkunft sein sollte, dann würde es eine sein.
Aber die Frau, die Steve und Cynthia gefunden hatten, war
das wirkliche Problem
- aus irgendeinem Grund machte sie
ihn nervös, und er hatte das Gefühl, daß es ihr ebenso erging.
Er wollte weg von ihr, darum war er über den Bühnenrand gesprungen und den Mittelgang entlanggelaufen. Er war unter
dem baufälligen Balkon hindurch und in die Halle gelaufen,
bevor Audrey sich an der linken Seite der Leinwand umdrehte, um nach ihm zu sehen. Von der Halle war er in den ersten Stock gegangen und hatte sich dort einfach von einem
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