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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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am Kartenhäuschen. Von dem Kartenhäuschen hatte man
einen guten Blick auf die Straße, aber es war angesichts der
beengten Platzverhältnisse einfacher gewesen, die Waffen
draußen zu lassen. Weder er noch Ralph hatten daran gedacht, sie mit nach oben zu bringen. Er dachte, eine der beängstigendsten Lektionen dieses Alptraums sei, wie tödlich
schlecht sie alle auf einen Überlebenskampf vorbereitet waren. Und doch hatten sie überlebt. Jedenfalls einige. Bis jetzt. »Tak ah la!«
Die Frau sprach mit einer furchteinflößenden und eindringlichen Stimme zugleich, ganz anders als vorher, als sie - häufig leise und stockend - ihre Geschichte erzählt hatte. Johnny
fand, daß diese Stimme nur eine oder zwei Stufen vom Bellen
eines Hundes entfernt war. Und lachte Audrey etwa? Er
glaubte, zumindest ein Teil von ihr. Und was war mit dieser
seltsamen, schwimmenden Dunkelheit direkt unter ihrer
Haut? Sah er die wirklich?
»Min! Min! Min en tow!«
Cynthia warf Steve einen bestürzten Blick zu. »Was sagt sie
da?« Steve schüttelte den Kopf. Sie sah Johnny an.
»Das ist die Sprache des Cops«, sagte er. Er führte sein seltsam ausgeprägtes Erinnerungsvermögen zu dem Augenblick
zurück, als der Cop offenbar einen Geier auf ihn gehetzt hatte. »Timoh!« fuhr er Audrey Wyler an. »Candy-latch!«
Das stimmte nicht ganz, war aber offenbar nahe dran;
Audrey schrak zurück, und ihr Gesicht nahm kurze Zeit einen
ausgesprochen menschlichen Ausdruck der Überraschung
an. Dann fletschte sie wieder die Zähne, und das irre Lächeln
leuchtete aus ihren Augen.
»Was haben Sie zu ihr gesagt?« wandte sich Cynthia an
Johnny.
»Keine Ahnung.«
»Boß, Sie schaffen besser den Jungen raus. Sofort.«
Johnny wich einen Schritt zurück, weil er genau das tun
wollte. Im selben Moment steckte Audrey die Hand in die Tasche ihres Kleids, und als sie sie wieder herauszog, hatte sie
die Faust um etwas geschlossen. Sie starrte ihn mit ihren zusammengekniffenen Tieraugen an
- nur ihn, John Edward
Marinville, den vorzüglichen Schriftsteller und Denker von
hohen Graden. Sie streckte die Faust aus, mit dem Handrücken nach unten. »Can tah!« schrie sie… lachte sie. »Can tah,
am tak! Was du nimmst, das bist du! Natürlich! Can tah, can
tok, mi tow! Nimm das! So tah!«
Als sie die Hand öffnete, als sie ihm ihre Gabe darbot,
schlug das emotionale Wetter in seinem Kopf sofort um …
und doch sah er immer noch alles und brachte es in eine Abfolge, wie damals, als sich das gottverdammte Partymobil von
Scan Hutter überschlagen hatte. Damals hatte er alles
aufgezeichnet, als er sicher war, daß er sterben würde, und
auch jetzt zeichnete er alles auf, als ihn plötzlich unbändiger
Haß auf den Jungen in seinen Armen erfüllte und der Wunsch
ihn überwältigte, dem dazwischenfunkenden kleinen Betbruder irgend etwas - sein Motorradschlüssel wäre gerade recht
gewesen - in den Hals zu rammen und ihn aufzureißen wie
eine Bierdose.
Zuerst dachte er, daß drei seltsam aussehende Talismane
auf ihrer offenen Handfläche lagen - wie Mädchen sie manchmal an ihren Armbändern baumeln ließen. Aber dazu waren
sie zu groß, zu schwer. Keine Talismane, sondern Figuren aus
Stein, jede etwa fünf Zentimeter lang. Eine war eine Schlange.
Die zweite ein Geier mit einem abgebrochenen Flügel. Irre
Augen traten aus dem kahlen Kopf hervor und starrten ihn
an. Die dritte war eine Ratte auf den Hinterbeinen. Alle sahen
vernarbt und uralt aus.
»Can tah!« kreischte sie. »Can tah, can tak, töte den Jungen, töte ihn sofort, töte ihn.«
Steve machte einen Schritt vorwärts. Da sie sich völlig auf
Johnny konzentrierte, sah sie ihn erst im letzten Augenblick.
Er schlug ihr die Steine aus der Hand, so daß sie in die Ecke
des Zimmers flogen. Einer
- die Schlange
- brach entzwei.
Audrey schrie auf vor Entsetzen und Frustration.
Die mörderische Wut, die über Johnny gekommen war,
klang ab, verschwand aber nicht völlig. Er spürte, wie er in die
Ecke sehen wollte, wo die Steinfiguren lagen. Auf ihn warteten. Er mußte sie nur aufheben.
»Verdammt noch mal, schaffen Sie ihn hier raus!« schrie Steve.
Audrey wollte zu den Figuren laufen. Steve packte sie am
Arm und riß sie zurück. Ihre Haut wurde immer dunkler und
eingefallener. Johnny glaubte, daß der Vorgang, der sie verändert hatte, sich wieder umzukehren versuchte … ohne nennenswerten Erfolg. Sie … was? Schrumpfte? Nahm ab? Er
wußte das richtige Wort nicht, aber
»SCHAFFEN SIE IHN RAUS!« schrie Steve wieder

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