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Desperation

Desperation

Titel: Desperation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Stützbalken, vom Wüstenklima ausgetrocknet und von Generationen von Termiten
ausgehöhlt, fingen fast auf der Stelle an zu ächzen. Steve lief
hinter Johnny her, ohne den Arm von Cynthia zu nehmen.
Ralph kam ihnen von der anderen Seite des Flurs entgegen.
Sie trafen sich gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie das Ding
in dem blutigen Kleid das Balkongeländer erreichte. Audrey
war über die schlaffe Sexpuppe gekrochen und hatte eine
Spur von Blut und anderen, nicht so leicht zu identifizierenden Körperflüssigkeiten auf dem Vinyl hinterlassen. Friedas
geschürzte Lippen hätten Entrüstung über eine solche Behandlung ausdrücken können.
Die Überreste von Audrey Wyler umklammerten immer
noch das Balkongeländer; sie versuchte, sich hinaufzuhieven
und in die Tiefe zu stürzen, als die Streben brachen und der
ganze Balkon mit einem gewaltigen, staubigen Aufschrei von
der Wand wegbrach. Zuerst glitt er auf einer Ebene hinaus, wie
ein Tablett oder eine schwebende Plattform, riß Bodendielen
vom Flur mit sich und zwang Steve und die anderen zum
Rückzug, als der alte Teppichboden zuerst riß und dann
auseinanderklaffte wie eine seismische Verwerfung. Latten
brachen; Nägel schieden sich quietschend von den Brettern,
mit denen sie einst vermählt worden waren. Dann endlich
neigte sich der Balkon. Audrey purzelte über den Rand hinaus.
Einen Augenblick sah Steve ihre Füße aus dem Staub ragen,
dann war sie verschwunden. Einen Augenblick später war
auch der Balkon verschwunden, er fiel wie ein Stein und landete mit einem gewaltigen Donnern auf den Sitzreihen darunter. Staub wurde als Pilzwolke en miniature hochgewirbelt.
»David!« rief Steve. »Was ist mit David? Lebt er noch?«
»Ich weiß nicht«, sagte Ralph. Er betrachtete die anderen
mit umwölktem, tränenverschleiertem Blick. »Als ich ihn aus
dem Vorführraum getragen habe, war ich ganz sicher, aber
jetzt weiß ich es nicht mehr. Ich kann ihn überhaupt nicht atmen hören.«
3
    Sämtliche Türen, die in den Zuschauerraum führten, waren
aufgesprengt worden, die Luft im Foyer war gesättigt vom
Staub des herabgestürzten Balkons. Sie trugen David zu einer
der Türen, die zur Straße führten, wo ein Luftzug von
draußen den schlimmsten Staub mit sich nahm.
»Legt ihn hin«, sagte Cynthia. Sie überlegte, was als nächstes zu tun sei - verdammt, was als erstes zu tun sei -, aber ihre
Gedanken wirbelten durcheinander. »Und legt ihn gerade
hin. Machen wir seine Atemwege frei, okay?«
Ralph sah sie hoffnungsvoll an, während er und Steve David auf den fadenscheinigen Teppich sinken ließen. »Wissen
Sie etwas … darüber?«
»Kommt drauf an, was Sie damit meinen«, sagte sie. »Ein
wenig Erste Hilfe - einschließlich künstliche Beatmung - habe
ich noch bei Daughters and Sisters gelernt, yeah. Aber wenn
Sie meinen, ob ich irgendwas über Ladies weiß, die sich in
mörderische Irre verwandeln und dann verfaulen, muß ich
nein sagen.«
»Ich habe nur noch ihn, Miss«, sagte Ralph. »Er ist alles, was
von meiner Familie übrig ist.«
Cynthia machte die Augen zu und beugte sich über David.
Was sie spürte, erleichterte sie ungeheuer
- schwach, aber
deutlich strich warmer Atem über ihre Wange. »Er lebt. Ich
kann spüren, wie er atmet.« Sie sah zu Ralph auf und lächelte.
»Überrascht mich nicht, daß Sie das nicht spüren konnten. Ihr
Gesicht ist geschwollen wie ein Luftschlauch.«
»Ja. Vielleicht lag es daran. Aber ich glaube, am meisten lag
es an meiner Angst…« Er versuchte, sie anzulächeln, aber es
gelang ihm nicht. Er stieß einen langgezogenen Stoßseufzer
aus, tastete sich rückwärts und lehnte sich an den mit Brettern
vernagelten Süßwarentresen.
»Ich werde ihm jetzt helfen«, sagte Cynthia. Sie betrachtete
das blasse Gesicht und die geschlossenen Augen des Jungen.
»Ich werde dir nur ein wenig unter die Arme greifen, David.
Die Sache etwas beschleunigen. Laß dir von mir helfen, okay?
Laß dir von mir helfen.«
Sie drehte seinen Kopf behutsam auf eine Seite und verzog
das Gesicht, als sie die Fingerabdrücke an seinem Hals sah. Im
Auditorium gab ein hängendes Stück des Balkons den Geist
auf und fiel mit einem lauten Poltern herunter. Die anderen
sahen dorthin, aber Cynthia konzentrierte sich auf David. Sie
öffnete mit den Fingern der linken Hand seinen Mund, beugte
sich nach vorne und drückte ihm mit der rechten behutsam
die Nasenlöcher zu. Dann preßte sie den Mund auf seinen
und atmete aus. Seine Brust hob sich etwas mehr und senkte
sich

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