Desperation
Es war Yuan Ti. Ich glaube, er war ein lustiger Kerl er machte Tiere aus Stoffresten und veranstaltete damit
Aufführungen für die Kinder. Yuan Ti war wahnsinnig geworden, aber das. war noch nicht alles. Er war plötzlich größer, so groß, daß er sich weit nach vorne bücken mußte, damit er
in dem Schacht überhaupt laufen konnte. Er warf Steine nach
ihnen, beschimpfte sie auf Kantonesisch, schmähte ihre Vorfahren und befahl ihnen, mit ihrer Arbeit aufzuhören. Shih
schoß mit der Waffe des Vorarbeiters auf ihn. Er mußte häufig
schießen, bis Yuan Ti sich niederlegte und starb. Aber die anderen kamen und wollten ihnen an den Kragen. Tak wußte genau, was sie vorhatten, seht ihr.«
David sah sie an, schien sie abzuschätzen. Seine Augen
blickten verträumt, halb in Trance, aber Cynthia hatte nicht
den Eindruck, als würde der Junge seine Umgebung nicht
mehr wahrnehmen. In gewisser Weise war das der schrecklichste Aspekt von allem, was sich hier abspielte. David sah
sie sehr gut… und ebenso die Kraft in ihm, die sich manchmal
in den Vordergrund zu drängen schien, um Aspekte der Geschichte zu erklären, die David möglicherweise nicht ganz begriffen hatte.
»Shih und Ch’an machten sich wieder über das Hangende
her und schlugen mit den Spitzhacken wie die Irren auf das
lockere Gestein ein - was sie auch wurden, bis es für sie vorbei
war, Irre. Mittlerweile sah der Teil der Decke, an dem sie arbeiteten, wie eine Kuppel über ihren Köpfen aus -« David beschrieb mit den Händen eine Art Gewölbe, und Cynthia sah,
daß seine Finger zitterten. »- und sie kamen nicht mehr gut
mit den Hacken dran. Daher stieg Shih, der ältere, seinem jüngeren Bruder auf die Schultern und arbeitete so weiter. Das
Gestein regnete auf sie herab, der Haufen um Ch’an Lushan
herum reichte ihm fast bis zu den Knien, und immer noch
stürzte die Decke nicht ein.«
»Waren sie auch von Gott beseelt, David?« fragte Marinville. Jetzt schwang kein Sarkasmus mehr in seiner Stimme mit.
»Von Gott besessen? Was meinst du?«
»Das glaube ich nicht«, sagte David. »Ich glaube nicht, daß
Gott von jemandem Besitz ergreifen muß, deshalb ist er ja
Gott. Ich glaube, sie wollten das, was Gott wollte - dafür sorgen, daß Tak in der Erde blieb. Die Decke zwischen ihnen und
ihm zum Einsturz bringen, wenn sie konnten.
Jedenfalls sahen sie Kerosinlampen in der Mine, die näherkamen. Hörten Leute rufen. Eine ganze Bande. Shih ließ von
dem Hangenden ab und machte sich statt dessen über eine
der Kreuzverstrebungen her, auf die er mit der flachen Seite
der Spitzhacke einschlug. Die Bergleute, die von unten heraufkamen, warfen Steine nach ihnen, und ein paar davon trafen Ch’an, aber er stand fest, mit seinem Bruder auf den
Schultern. Als die Kreuzverstrebung schließlich einstürzte,
stürzte die Decke mit ein. Ch’an wurde bis zu den Knien begraben, aber Shih landete etwas entfernt. Er befreite seinen
Bruder. Ch’an hatte schlimme Prellungen, aber nichts gebrochen. Und sie waren auf der richtigen Seite des Einsturzes,
das muß das Wichtigste für sie gewesen sein. Sie konnten die
Bergleute hören
- ihre Freunde, Verwandten, und die Frau,
die Ch’an Lushan heiraten wollte -, die schrien, daß man sie
herauslassen sollte. Ch’an fing sogar an, einige Felsbrocken
wegzuräumen, bevor Shih ihn wegzerrte und zur Vernunft
brachte.
Da konnte man sie noch zur Vernunft bringen.
Als hätten die Leute, die auf Taks Seite des Einsturzes gefangen waren, das gewußt, verwandelten sich’ die Hilfeschreie in Brüllen und Heulen. Das Geheul von … nun, von
Menschen, die gar keine Menschen mehr waren. Ch’an und
Shih liefen weg. Sie trafen Leute - Chinesen und Weiße - beim
Hinausgehen. Es wurden keine Fragen gestellt, außer der naheliegendsten, was geschehen sei, und da die Antwort darauf
auf der Hand lag, hatten sie keine Probleme. Ein Einsturz,
Bergleute waren eingeschlossen, da hatte keiner Zeit, sich um
zwei verängstigte Chinesenjungs zu kümmern, die gerade
noch rechtzeitig rausgekommen waren.«
David trank den Rest der Cola und stellte die leere Flasche
beiseite.
»So ist es mit allem, was Mr. Billingsley uns erzählt hat«,
sagte er. »Wahrheit und Irrrum und regelrechte Lügen sind
durcheinandergemischt.«
»Der Fachausdruck dafür lautet >Legendenbildung<«, sagte
Marinville mit einem dünnen, gezwungenen Lächeln.
»Die Bergleute und die Stadtbewohner konnten die Chinesen hinter der Einsturzstelle schreien hören, aber sie standen
nicht nur
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