Dessen, S
Gesicht. Es geht ihr nicht gut, sie ist unglücklich. Man hat schließlich und endlich nie genug für sie getan. Ach, und man ist natürlich auch der schlechteste Vater, den es je gab.«
Ich legte eine kleine Kunstpause ein, ehe ich fragte: »Hat sie das tatsächlich gesagt?«
»Natürlich nicht«, antwortete er gereizt. »Aber bei einer Ehe geht es immer nur um das, was sich zwischen den Zeilen abspielt, Auden. Tatsache ist, in ihren Augen habe ich auf ganzer Linie versagt, ihr
und
Thisbe gegenüber. Und zwar von Anfang an.«
»Dann versuchst du es eben noch mal«, erwiderte ich, »und machst es beim nächsten Mal besser.«
Er sah mich traurig an. »So einfach ist das nicht, mein Schatz.«
»Worin besteht denn die Alternative? Weiter allein hier zu rumzuhocken?«
»Keine Ahnung.« Er stand auf, stellte sich ans Fenster, die Hände in den Hosentaschen vergraben. »Ich möchte die Dinge bestimmt nicht schlimmer machen, als sie ohnehin sind. Möglicherweise sind die beiden ohne mich besser dran. Ja, das halte ich sogar für sehr wahrscheinlich.«
Überrascht stellte ich fest, dass ich einen Stich in der Magengrube verspürte. »Das glaube ich nicht«, meinte ich. »Heidi liebt dich.«
»Und ich sie«, antwortete es. »Aber manchmal reicht Liebe allein nicht aus.«
Was mich an dieser Bemerkung am meisten störte, war merkwürdigerweise, dass sie so banal war, so klischeehaft. Er war ein großartiger Autor. Er konnte es besser.
»Ich muss zur Arbeit.« Ich nahm meine Tasche. »Ich bin nur gekommen … ich wollte wissen, wie es dir geht.«
Er zog mich an sich, umarmte mich. Ich spürte seine kratzigen, ungewohnten Bartstoppeln an meiner Stirn, als er murmelte: »Mir geht es gut. Ich schaffe das schon.«
Ich verließ das Zimmer, ging zum Aufzug, drückte auf den Knopf. Als er nicht gleich aufleuchtete, schlug ich mit der geballten Faust drauf.
Erst jetzt wurde mir bewusst, wie sauer ich war. Nein: außer mir, angepisst, ich-kann-nicht-mehr-klar-denken-und-mein-Herz-schlägt-wie-ein-Dampfhammer-wütend. Nachdem sich die Fahrstuhltüren hinter mir geschlossen hatten, sah mir mein Spiegelbild entgegen. Und dieses Mal wich ich nicht aus.
Es fühlte total schräg an, urplötzlich diese Wahnsinnswut zu spüren. Als hätte irgendeine Bemerkung oder eine Geste meines Vaters ein Ventil in mir geöffnet. Jetzt schoss und sprudelte auf einmal etwas mit der Wucht eines Geysirs heraus. Ich durchquerte die Lobby, ging hinaus auf die Promenade. Wie leid mir mein Vater auch tat, es war kein besonderes Zeichen von Größe, sich aus etwas rauszuziehen, das eben mal nicht so reibungslos lief.Sogar wenn man sich selbst für die Ursache der Schwierigkeiten hielt.
Gerade
dann. Das war nicht nobel, sondern feige. Weil man sich drückte. Denn war man das Problem, bestand durchaus die Chance, dass man auch die Lösung sein konnte. Und es gab nur einen Weg, das herauszufinden: Man musste noch einen Versuch wagen.
Ich hatte einen derartigen Stechschritt drauf, dass ich nicht lange bis zum
Clementine's
brauchte. Als ich die Tür aufriss, keuchte ich und war vor Anstrengung ganz rot im Gesicht. Maggie erschrak fast, als sie mich sah.
»Auden! Was …«
Ich schnitt ihr das Wort ab: »Du musst mir einen Gefallen tun.«
Sie blickte mich leicht überrumpelt an. »Aha. Was denn?«
Ich erklärte es ihr. Ich hatte damit gerechnet, dass sie total verwundert sein, mich vielleicht sogar auslachen würde. Doch sie tat weder das eine noch das andere. Sie überlegte nur einen Moment, dann nickte sie. »Klar«, meinte sie schließlich. »Kann ich machen.«
Fünfzehn
Es war megapeinlich – gelinde gesagt.
»Das solltest du lieber vermeiden«, meinte Maggie, als ich mich zum x-ten Mal aufrappelte.
»Schon klar.« Ich musterte mein frisch zerschrammtes Knie. Wenigstens passte es so zum anderen. »Ich bin nur … ich meine, es ist ein so komisches Gefühl.«
»Kann ich mir vorstellen.« Sie seufzte. »Es gibt gute Gründe dafür, dass man es schon als Kind lernt.«
»Weil man da nicht solche Hemmungen hat?«
»Weil da der Abstand zum Boden nicht so groß ist, wenn man hinfällt.«
Sie bückte sich, nahm das Fahrrad beim Lenker, stellte es wieder gerade hin. Und ich setzte mich wieder auf den Sattel, wobei ich beide Füße fest auf der Erde behielt. »Okay«, ermunterte sie mich. »Nächster Versuch.«
Es war früh morgens, ein strahlend schöner Tag. Wir befanden uns auf der Lichtung beim Jump-Park und eins stand mittlerweile fest:
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