Dessen, S
Wenn du jemandem das Radfahren gründlich verleiden willst, ist das die beste Methode überhaupt.« Adam signalisierte mir, abzusteigen und ihm das Rad zu überlassen. Dann setzte er sich selbst auf den Sattel. »Okay, Auden, hüpf auf die Lenkstange.«
»Bitte was?«
»Die Lenkstange. Komm schon.« Weil ich mich nichtvom Fleck rührte, fuhr er fort: »Hör zu, um Fahrrad fahren zu lernen, muss man
Lust
haben, Fahrrad fahren zu lernen. Und die bekommt man nur, wenn man mitkriegt, wie viel Spaß es machen kann. Steig auf.«
Ich warf Maggie einen Blick zu. Sie nickte mir ermutigend zu, worauf ich mich so elegant und vorsichtig wie möglich auf die Lenkstange setzte. »Bravo«, meinte Adam. »Und jetzt gut festhalten. Wenn wir richtig Tempo draufhaben, kannst du zwischendurch gern loslassen, aber nur kurz. Und auch nur, wenn du dir sicher bist.«
»Ich werde nicht loslassen«, antwortete ich. »Niemals!«
»Auch okay. Wie du willst.«
Er trat in die Pedale. Zunächst langsam, dann ein bisschen schneller, sodass meine Haare im Fahrtwind wehten. Als wir am Ende des Parkplatzes angekommen waren, bog er nach rechts ab und fuhr weiter.
»Moment.« Ich warf einen Blick über die Schulter zu Maggie, die uns nachsah, wobei sie mit den Händen die Augen vor der Sonne abschirmte. »Was ist mit …«
»Kein Problem, wir bleiben nicht lang weg. Sie ist ein großes Mädchen.«
Inzwischen fuhren wir auf der Hauptstraße. Ab und zu überholte uns links ein Auto. Die Sonne war schon ein Stück weit den Himmel hochgeklettert, die Luft roch gleichzeitig süß und salzig. Nachdem uns wieder ein Auto überholt hatte, rief Adam mir zu: »Beschreib mir, was in dir vorgeht.«
»Ich hoffe inständig, dass ich nicht von der Lenkstange falle«, rief ich zurück.
»Was noch?«
»Ich …« In dem Moment fuhren wir holpernd über die Schwelle zwischen Straße und Promenade. »Keine Ahnung.«
»Irgendetwas muss doch in dir vorgehen.«
Wir sausten auf der Promenade entlang. Außer uns tummelten sich da nur ein paar Walker und Jogger und ein Haufen Möwen, die auseinanderstoben, als wir uns näherten. Ich sah ihnen nach und sagte schließlich: »Es ist wie Fliegen. So ähnlich jedenfalls.«
»Genau.« Er zog das Tempo ein wenig an. »Die Geschwindigkeit, der Wind … und das Beste ist: Du bist diejenige, die das alles bewirkt. Im Moment bin ich es natürlich. Aber irgendwann wirst du es sein. Und es wird sich genauso anfühlen wie jetzt. Nein, noch viel besser, weil
du
es dann machst, und zwar aus eigener Kraft.«
Wir waren jetzt so richtig in Fahrt. Die Bretter der Promenade klackerten unter uns. Ich lehnte mich weiter zurück, ließ mir den Wind direkt ins Gesicht wehen. Das Meer zu meiner Rechten war riesig. Eine glitzernde, blaue Fläche, an der wir so schnell vorbeisausten, dass alles ineinander verschwamm. Trotz meiner Ängste runterzufallen, trotz meiner Unsicherheit und dem Gefühl, die letzte Versagerin zu sein, verfiel ich in eine Art Hochgefühl und schloss die Augen.
»Siehst du?« Von irgendwoher drang Adams Stimme an meine Ohren. »Das ist etwas
Schönes
!«
Ich öffnete die Augen. Wollte ihm sagen, dass er recht hatte. Dass ich es endlich kapierte und ihm für diese Chance, diese Fahrt, unendlich dankbar war. Doch genau in dem Moment fuhren wir am Fahrradladen vorbei.Die Tür stand offen und für den Bruchteil einer Sekunde sah ich, dass Licht brannte und jemand an der Verkaufstheke stand. Jemand mit einem Kaffeebecher. Vielleicht bemerkte Eli uns nicht mal oder erkannte mich nicht. Egal – ich beschloss trotzdem, es jetzt zu probieren. Und ließ die Lenkstange los.
***
In der darauffolgenden Woche übten Maggie und ich beinahe jeden Tag. Es wurde zu einem Ritual: Ich holte bei
Beach Beans
zwei Kaffee und traf mich mit ihr auf der Lichtung beim Jump-Park. Wir trainierten nach Adams »Hilfestellungsmethode«: Ich trat in die Pedale, sie stützte mich hinten am Sattel. Dann steigerten wir den Schwierigkeitsgrad, was hieß, dass Maggie für kurze Zeit losließ und hinterherlief, um festhalten zu können, falls ich zu sehr schwankte. Die Phasen ohne Stütze verlängerten wir dann immer mehr. Gleichzeitig versuchte ich, mein Gleichgewichtsgefühl und meine Technik zu verbessern. Eine Meisterin war ich noch lange nicht – ich legte zwischendurch immer mal wieder einen Bilderbuchsturz hin –, aber es lief schon wesentlich besser als am ersten Tag.
Mein Leben hatte sich wieder mal drastisch verändert, ja
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