Dessen, S
Ich konnte
nicht
Fahrrad fahren.
Denn wenn ich es je gekonnt hätte, hätte sich mein Körper daran erinnert. An das Selbstvertrauen, was zu tun war, sobald ich in die Pedale trat und ich mich inBewegung setzte. Doch das genaue Gegenteil war der Fall: Jedes Mal, wenn das Fahrrad losrollte – und wenn es noch so langsam war –, reagierte ich panisch, geriet ins Schlingern, fiel um. Ein einziges Mal schaffte ich es, ungefähr vierzig Meter weit zu fahren, allerdings auch nur, weil Maggie mich hinten am Sattel stützte. Kaum ließ sie los, fuhr ich nicht mehr geradeaus, das Rad schwankte, schlingerte … und ich landete hoffnungslos im Gebüsch.
Natürlich wollte ich mehrfach aufgeben, und zwar schon seit dem ersten, desolaten Sturz vor ungefähr einer Stunde. Es war extrem frustrierend, andauernd wieder aufstehen, Sand und Kies von meinen armen, geschundenen Knien wischen zu müssen. Und dass Maggie unbeirrbar positiv, ermutigend, freundlich blieb – mich cheerleadermäßig anfeuerte, den Daumen hob, selbst wenn ich gerade mal wieder eine desaströse Bruchlandung hingelegt hatte –, machte das Ganze nicht besser, im Gegenteil. Es war doch eigentlich so einfach. Sogar kleine Kinder konnten es. Aber ich fiel um, fiel immer wieder um.
Nach dem nächsten Sturz, bei dem ich gegen einen Mülleimer schepperte, meinte Maggie: »Ich glaube, ich gehe die Sache falsch an.«
»Es liegt nicht an dir.« Ich hob das Fahrrad wieder auf. »Sondern an mir. Ich bin ein hoffnungsloser Fall.«
»Nein, bist du nicht.« Sie lächelte mich an und ich fühlte mich gleich noch elender. »Fahrrad fahren heißt vertrauen können. Ich meine, wir sind nicht dazu geschaffen, auf zwei dünnen Gummireifen durch die Gegend zu gondeln. Es widerspricht jeder Vernunft.«
»Sehr gnädig.« Ich befreite meinen Ellbogen von einigen spitzen Kieselsteinen. »Wirklich äußerst aufbauend.«
»Ich möchte dich nicht zusätzlich fertigmachen.« Maggie hielt das Rad fest, während ich wieder draufstieg, meine Hände um die Lenkstange klammerte. »Aber ich denke, wir brauchen ein bisschen Verstärkung.«
Ich sah sie entsetzt an. »Nein, bitte nicht.«
»Keine Bange, Auden, das geht schon klar.« Sie zog ihr Handy aus ihrer hinteren Jeanstasche.
»Bitte nicht«, flehte ich erneut. »Leah wird einen solchen Lachkrampf kriegen, dass mir gar nichts anderes übrig bleibt, als aus der Stadt zu verschwinden. Und Esther hat garantiert totales Mitleid mit mir, was alles nur noch schlimmer macht.«
»Da hast du vollkommen recht.« Sie tippte auf dem Handy rum. »Aber ich rufe jetzt den einzigen Menschen auf der Welt an, vor dem man sich nicht lächerlich machen
kann
, egal, wie blöd man sich anstellt.«
»Maggie …«
»Ehrlich.« Sie schickte die SMS los. »Vertrau mir.«
Ich hatte keine Ahnung, wen sie meinte. Doch als zehn Minuten später auf dem Parkplatz hinter uns eine Wagentür krachend zugeschlagen wurde und ich mich umdrehte, war alles klar: In dem Punkt hatte sie recht.
»Ist das ein Notfall?«, fragte Adam im Näherkommen. »Du schickst bloß SMS, wenn jemand im Sterben liegt oder tot ist. Ich habe mir vor Angst fast in die Hose gemacht.«
»Sorry«, sagte Maggie. »Aber ich wollte, dass du so schnell wie möglich kommst. Wir brauchen dringend deine Unterstützung.«
Seufzend fuhr er sich mit der Hand durch die Locken, die auf einer Seite völlig wirr vom Kopf abstanden, wie mir jetzt erst auffiel. Außerdem zeichneten sich auf seinen Wangen Bettlakenfalten ab. »Schön. Also, wo brennt’s?«
»Auden kann nicht Fahrrad fahren«, sagte Maggie schlicht.
Adam sah mich an. Ich wurde rot. »Wow«, meinte er ernst. »Das ist allerdings ein schwerwiegendes Problem.«
»Siehst du?« Maggie wandte sich mir zu. »Ich habe dir doch gesagt, er ist genau der Richtige.«
Adam kam näher, musterte sowohl mich als auch das Rad prüfend, wandte sich schließlich wieder an Maggie. »Na gut«, meinte er. »Wie hast du’s bisher versucht?«
Maggie verstand nur Bahnhof. »Wie ich …«
»Habt ihr mit dem Partnertrick angefangen und seid dann allmählich zum Hilfestellungssystem übergegangen? Oder habt ihr zuerst mit Hilfestellung gearbeitet? Wobei das erklärte Ziel darin bestehen muss, die Fähigkeit zum eigenständigen Fahren langsam und schrittweise, aber stetig aufzubauen …«
Maggie und ich wechselten einen Blick. Dann antwortete sie: »Ich habe sie eigentlich nur auf den Sattel gesetzt und es ausprobieren lassen.«
»Oh Mann.
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