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Dessen, S

Dessen, S

Titel: Dessen, S Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Because of you
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hineinpackte und den Wagen über die Veranda in den Vorgarten schob, Richtung Straße. Als wir beim Briefkasten ankamen, hatte sie aufgehört.
    Unmöglich, dachte ich, hielt inne und beugte mich vor, um einen Blick auf sie zu werfen. Eine Sekunde verstrich, dann sah ich, wie sie tief Luft holte. Und erneut loslegte, lauter als je zuvor. Hastig schob ich den Kinderwagen weiter und schon nach ein paar Metern war es wieder still. Ich beschleunigte meine Schritte und marschierte energisch die Straße entlang.
    Als wir den Teil der Promenade mit den Läden und Kneipen erreichten, schlief sie, tief und fest und mit entspanntem Gesicht. Die Promenade war menschenleer. Eine ziemlich kräftige Brise wehte. Alles, was ichhörte, waren das Meer, das Geräusch der Kinderwagenräder, meine eigenen Schritte.
    Wir liefen die ganze Strecke bis zum
Last Chance Café
und hatten schon wieder kehrtgemacht, als wir jemandem begegneten. Beziehungsweise eigentlich nicht so richtig, denn sie oder er war ziemlich weit weg, nur ein Punkt, eine Ahnung von Bewegung in der Ferne. Erst als wir wieder an der orangefarbenen Markise vom
Clementine's
vorbeikamen, begriff ich, dass da jemand Fahrrad fuhr, an einer Stelle, wo die Promenade breiter wurde. Ich kniff die Augen zusammen. Der Fahrradfahrer verlagerte sein Körpergewicht, sodass er nur noch auf dem Vorderrad balancierte, und hüpfte ein paar Meter vor. Dann ließ er sich sachte wieder nach hinten gleiten und den Lenker kreiseln. Fuhr nun im Zickzack rückwärts, unvermittelt wieder vorwärts, und zwar in einem so irren Tempo, dass er auf eine Bank hüpfen, sich abstoßen und rückwärts wieder hinuntergleiten lassen konnte. Fließende, beinahe hypnotisierende Bewegungen. So gebannt beobachtete ich die Person auf dem Fahrrad, dass ich sie erst erkannte, als ich sie schon fast erreicht hatte: Es war der Typ im blauen Kapuzenshirt, mit dem ich vor einigen Stunden in den Dünen zusammengeprallt war.
    Dieses Mal war ich diejenige, die ihn überraschte. Denn als er mich, keine drei Meter von sich entfernt, auf der Promenade bemerkte, fuhr er zusammen und vollführte eine ziemlich wackelige Vollbremsung. Ich konnte ihm ansehen, dass er mich wiedererkannte, auch wenn er nicht eben freundlich wirkte – kein Hallo, kein Garnichts. Aber ich hatte schließlich auch nichts gesagt. Wirstanden uns einfach bloß gegenüber und schauten einander an. Es wäre wahrscheinlich alles noch viel peinlicher geworden, wenn Thisbe nicht wieder angefangen hätte zu schreien.
    »Ups«, sagte ich und schuckelte den Kinderwagen vor und zurück. Sofort wurde sie wieder still, schloss die Augen aber nicht mehr, sondern blickte in den Himmel. Der Typ betrachtete sie aufmerksam und aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, mein Auftauchen erklären zu müssen: »Sie hat   … es war eine lange Nacht.«
    Nun sah er wieder mich an, unendlich ernst. Wie ein Getriebener, wobei ich keine Ahnung hatte, wie und warum mir in dem Moment ausgerechnet dieser Begriff in den Sinn kam. Er blickte erneut zu Thisbe in den Kinderwagen und sagte: »Gilt das nicht für alle Nächte?«
    Ich öffnete den Mund, um zu antworten – ihm wenigstens beizupflichten   –, doch er ließ mich nicht. Trat schon wieder in die Pedale, fuhr rückwärts davon. Kein Abschiedsgruß, nichts, nur ein lässiges Lenkerkreiseln. Er richtete sich auf, drehte sich um. Und weg war er. Fuhr allerdings nicht geradeaus über die Promenade, sondern in langen, langsamen Schlangenlinien. Bis er in der Ferne verschwand.

Vier
    »Für dich.«
    Ich blickte auf den Tisch: Auf einem gelben Tellerchen lag ein dicker, runder, perfekter Blaubeermuffin, daneben ein Klecks Butter, wie ein hübsches Accessoire.
    »Dein Vater meinte, das wäre deine Lieblingssorte«, sagte Heidi. »Ich habe die Beeren heute Morgen auf dem Markt besorgt und die Muffins frisch gebacken.«
    Obwohl sie immer noch müde wirkte, sah meine Stiefmutter der Heidi, die ich kannte, schon wieder etwas ähnlicher: Sie hatte die Haare ordentlich zurückgekämmt, trug Jeans, eine dazu passende, saubere Bluse und Lipgloss.
    »Das war wirklich nicht nötig«, murmelte ich.
    »Doch«, erwiderte sie ernsthaft. »War es.«
    Es war zwei Uhr nachmittags. Ich hatte sieben Stunden geschlafen und war gerade erst nach unten in die Küche gekommen. Heidi spülte eine Rührschüssel aus, das Baby schlief in ihrer Armbeuge. Ich hatte eigentlich vorgehabt, ohne Umwege auf die Kaffeemaschine zuzusteuern, doch ehe ich wusste,

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