Dessen, S
einschenkte, womit ich sofort loslegte, als der Boden der Kanne bedeckt war. »Weißt du was?«, sagte sie schließlich. »Seit Monaten ist mir klar, dass ich dringend jemanden engagieren muss, um mir bei der Buchhaltung zu helfen. Ich habe es aber immer wieder hinausgezögert, weil es ja nicht
irgendein
Job ist, sondern eine etwas heikle Aufgabe. Ich wollte nicht einfach irgendwen damit betrauen.«
Lieber Gott, hilf mir, dachte ich. Lass mich bitte einfach nur meinen Kaffee trinken.
»Aber falls du interessiert wärst«, fuhr sie fort, »würde ich mich bei der Bezahlung bestimmt nicht lumpen lassen. Ganz ehrlich.«
Ich wartete sehnsüchtig darauf, dass die Wirkung des Koffeins endlich einsetzte. »Äh, ich hatte eigentlich nicht vor, diesen Sommer groß Geld zu verdienen. Außerdem bin ich ein ziemlicher Morgenmuffel …«
»Das wäre gar kein Problem, du müsstest nicht unbedingt morgens arbeiten.« Wieder unterbrach sie mich. »Die Mädchen bringen die Einnahmen zur Bank, das ist das Einzige, was zu einem bestimmten Zeitpunkt gemacht werden muss. Alles andere – also die gesamte Buchhaltung, die Gehaltsschecks, die Registrierkassenbons – kannst du irgendwann im Laufe des Tages erledigen. Im Gegenteil, es wäre sogar besser, je später du anfängst.«
Natürlich war es besser. Und ich saß in der Klemme. Keine gute Tat ohne Bestrafung – so lief das wohl im Leben. Noch wichtiger war allerdings die Frage, was diesen plötzlichen Anfall von Samaritertum in mir verursacht hatte? War es wirklich so schwer zu begreifen, dass es nie bei einer Sache bleiben würde, dass immer ein nächster Schritt erwartet wurde, und dann noch einer und noch einer?
»Echt nett, dein Angebot«, sagte ich zu Heidi, »aber …«
Ich wurde durch das Geräusch von Schritten unterbrochen und im nächsten Moment kam mein Vater hinter mir den Flur entlang; er trug einen leeren Teller,auf dem eine Dose Cola light stand. Als er Heidi ansah und sie seinen Blick erwiderte, wurde mir augenblicklich klar, dass ihr Streit von gestern Abend noch nicht beigelegt war. Die Atmosphäre war frostig, um nicht zu sagen antarktisch eisig.
»Hallo, du bist also endlich wach«, sagte Dad zu mir, ging zum Spülbecken und stellte seinen Teller hinein. »Wann genau gehst du eigentlich in der Regel ins Bett?«
»Spät«, antwortete ich. »Oder früh, wie man’s nimmt.«
Er nickte, spülte den Teller ab, stellte ihn ins Abtropfregal. »Ach ja, glückliche Jugend. Man macht die ganze Nacht durch und muss sich um nichts sorgen. Ich beneide dich.«
Tu’s nicht, dachte ich. Heidi mischte sich ein: »Falls du es genau wissen möchtest, Auden hat die halbe Nacht damit zugebracht, meine Buchhaltung durchzusehen. Und den Fehler gefunden, weswegen mein Konto plötzlich im Minus stand.«
»Wirklich?« Mein Vater warf mir einen Blick zu.
»Ich versuche sie gerade davon zu überzeugen, für mich zu arbeiten«, fuhr Heidi fort. »Nur ein paar Stunden pro Tag, kleiner Bürojob in der Boutique.«
Er wusch sich die Hände, trocknete sie ab. »Heidi, Auden ist nicht hier, um zu arbeiten. Oder hast du das vergessen?«
Nur ein kleiner, beiläufiger Kommentar. Doch erzielte er prompt den gewünschten und durchaus beabsichtigten Effekt: Heidi zuckte förmlich zusammen. »Natürlich nicht«, erwiderte sie, »ich dachte bloß, sie möchte vielleicht …«
Er schnitt ihr das Wort ab: »Sie soll ihre Zeit hier zusammen mit ihrer Familie genießen.« Dann lächelte er mich an. »Was meinst du, Auden? Wie wär’s, wir zwei gehen heute Abend zusammen essen?«
Er war gut, mein Vater. Das musste ich ihm lassen. Auch wenn es nur darum ging, Heidi wegen gestern Abend eins auszuwischen – na und? Genau das hatte ich mir doch die ganze Zeit gewünscht: nur er und ich, ganz allein. Alles andere war unwichtig. Oder etwa nicht?
»Klingt super«, sagte Heidi. Ich sah sie an. Lächelnd erwiderte sie meinen Blick, wobei das Lächeln ein klein wenig angestrengt wirkte. »Und weißt du was: Vergiss das wieder, das mit dem Jobangebot. Dein Vater hat recht, du solltest dich einfach nur entspannen und den Sommer genießen.«
Mein Vater trank seine Cola aus und sah Heidi dabei an. Es war lange her, seit ich das letzte Mal Zeugin eines solchen Streits gewesen war. Egal: dieselbe Spannung, die gleichen Sticheleien. Bis hin zum Gesichtsausdruck meines Vaters – genauso sah er aus, wenn er wusste, dass er gewonnen hatte.
»Na ja, ich könnte tatsächlich noch ein bisschen Geld
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