Dessen, S
fürs College gebrauchen.« Ich hatte den Mund aufgemacht und das gesagt, bevor ich richtig begriff, was ich da eigentlich tat. »Solange es nicht zu viele Stunden sind.«
Heidi sah mich verblüfft an. Ihr Blick wanderte kurz zu meinem Vater – der schlagartig extrem genervt wirkte –, bevor sie, wieder an mich gewandt, antwortete: »Auf keinen Fall. Um die fünfzehn Stunden pro Woche, wenn überhaupt.«
»Auden«, meinte mein Vater, »du brauchst dich zu nichts verpflichtet zu fühlen. Du bist vor allem unser Gast.«
Wenn ich ihren Streit am Vorabend nicht mitbekommen hätte, wäre ich sicher nicht auf Heidi zugegangen. Aber ich hatte nun mal und das ließ sich nicht so einfach verdrängen.
An dem Abend gingen mein Vater und ich die Promenade entlang bis zu einem Restaurant direkt auf dem Pier. Wir bestellten Garnelen und schauten übers Wasser. Die Atmosphäre war zuerst ein wenig steif, wobei ich nicht hätte sagen können, ob es daran lag, dass mir nicht aus dem Kopf ging, was er alles so von sich gegeben hatte, oder ob er sich immer noch darüber ärgerte, dass ich Heidis Angebot angenommen – und damit, zumindest aus seiner Sicht, ihre Partei ergriffen – hatte. Doch nachdem er sein erstes Bier getrunken hatte und wir gemeinsam den sehr schleppenden Beginn unserer Unterhaltung ertragen hatten, lockerte sich die Stimmung. Er erkundigte sich, wie ich mir mein Studium an der
Defriese University
vorstellte und welches Hauptfach ich wählen würde. Im Gegenzug brachte ich ihn dazu, mir von seinem Buch (»das komplexe Porträt eines Mannes, der versucht, seiner eigenen und der Vergangenheit seiner Familie zu entfliehen«) und seinen Fortschritten beim Schreiben (er hatte den gesamten Mittelteil rausgeschmissen, weil er einfach nicht funktionierte, aber das neue Material war dafür umso besser) zu erzählen. Es dauerte ein wenig, doch irgendwann zwischen dem zweiten Pfund Garnelen und seiner ausführlichen Beschreibung dessen, worin derinnere Konflikt seiner Hauptfigur bestand, wurde mir endlich wieder bewusst, was ich an meinem Dad so liebte: seine Leidenschaft für seine Arbeit als Autor und wie begeistert er einem davon erzählen konnte, sodass man sich fühlte, als wäre man der einzige Mensch im Raum, ja, auf der ganzen Welt.
»Ich kann kaum erwarten, es zu lesen«, sagte ich, während die Kellnerin uns die Rechnung hinlegte. Zwischen uns lag ein großer Haufen Garnelenschalen, die in den letzten Sonnenstrahlen rosig schimmerten. »Klingt echt spannend.«
»Du verstehst wenigstens, wie wichtig das alles ist.« Er wischte sich den Mund ab. »Du warst dabei, als der ›Narwal‹ erschien, du hast miterlebt, wie mein Erfolg unser Leben veränderte.« (Was von der Zeitrechnung zwar gar nicht stimmen konnte, aber egal.) »Dieser Roman könnte für mich, das Baby und Heidi etwas Ähnliches bewirken. Ich wünschte, sie würde das begreifen.« Während er sprach, studierte er aufmerksam seine Bierflasche, die er in Händen hielt und langsam drehte.
»Vielleicht wird ihr gerade alles nur ein bisschen zu viel, deshalb reagiert sie so emotional«, erwiderte ich. »Der ständige Schlafmangel und so weiter.«
»Vielleicht.« Er trank einen Schluck Bier. »Aber die Wahrheit ist, sie denkt nicht so wie wir, Auden. Ihr Stärke liegt im Geschäftlichen, und da geht es ausschließlich um Ergebnisse, Zahlen, Kalkulationen. Bei Geisteswissenschaftlern und Schreiberlingen steht etwas anderes im Zentrum. Dir ist das bewusst.«
Das war es. Doch gleichzeitig wusste ich, dass meineMutter – die sowohl in die eine als auch in die andere Kategorie fiel – über seine ewigen Bemühungen, diesen zweiten Roman zu schreiben, ähnlich gedacht hatte. Trotzdem war es schön, dass er das Gefühl zu haben schien, er könnte sich mir anvertrauen.
Nach dem Essen trennten sich unsere Wege, da ich noch in die Boutique wollte, um das Büro zu besichtigen und mir einen Überblick zu verschaffen, bevor ich offiziell am nächsten Tag mit der Arbeit begann. So hatte ich es jedenfalls mit Heidi abgesprochen. Aus diversen Gründen war das nichts, auf das ich mich wirklich freute. Umso dankbarer war ich für jede Ablenkung und daher auch für den Anruf meines Bruders.
Die Musik im Hintergrund am anderen Ende der Leitung dröhnte wieder los, als ich sagte: »Tara ist übrigens nett.«
»Wer?«
»Tara«, wiederholte ich. »Deine Freundin.«
»Ach so, ja.« Die nun folgende Pause beantwortete alle ungestellten Fragen. Doch schließlich fuhr
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