Dessen, S
ich versuchen, sie hinzulegen, hab es aber doch nicht getan, weil …« Sie schnippte mit den Fingern. »Der Wellenapparat! Das war’s! Ich kann ihn nicht finden. Hast du ihn irgendwo gesehen?«
Ich wollte gerade Nein sagen. Was ich vor zwei Wochen, kurz nach meiner Ankunft, auch noch bedenkenlos und ohne schlechtes Gewissen getan hätte. Doch weil ich ja nun angedockt war, antwortete ich: »Könnte sein, dass er auf dem Tischchen neben der Haustür steht.«
»Ach so. Super!« Sie seufzte und betrachtete Thisbe, die ausgiebig gähnte. »Tja, dann hole ich ihn mal und hoffe, dass alles gut geht. Ich meine, gestern habe ich sieum dieselbe Zeit versucht hinzulegen, weil sie eindeutig todmüde war, aber natürlich fing sie in der Sekunde, als sie in ihrem Bettchen lag, an zu weinen. Ich schwöre, es ist ungefähr so …«
Behutsam, ja, extrem behutsam und diskret begann ich, die Tür zu schließen, bis Heidi den Wink mit dem Zaunpfahl endlich kapierte, ein wenig zurücktrat und sich Richtung Treppe umdrehte. »… also wünsch uns Glück!«, sagte sie in dem Moment, als meine Tür ins Schloss einrastete.
Ich setzte mich aufs Bett und blickte durchs Fenster zum Strand. Vieles von dem, was hier vor sich ging, inklusive meiner eigenen Rolle darin, war mir ein Rätsel. Was mich im Prinzip nicht weiter störte. Aber der Wellenapparat?! Machte mich wahnsinnig.
Da wohnten wir gerade mal ein paar Meter vom echten Meer entfernt. Dennoch war Heidi der festen Überzeugung, dass Thisbe nur mithilfe eines künstlichen Wellengeräuschs einschlafen konnte, und zwar auf voller Lautstärke. Was zur Folge hatte, dass auch ich die ganze Nacht über in den Genuss dieses Krachs kam. Da hockte ich also in einem Haus direkt am Meer, musste künstlichen Brandungslärm über mich ergehen lassen und hatte außerdem das Gefühl, in diesem Umstand spiegelte sich alles wider, was an der Situation und Atmosphäre hier von vorn bis hinten nicht stimmte.
Draußen auf dem Flur hörte ich wieder Schritte. Eine Tür wurde geöffnet, dann geschlossen und wenige Sekunden später ertönte das unvermeidliche Wellenrauschen. Künstlich, laut, endlos.
Ich stand auf, schnappte mir meine Tasche und ging so leise wie möglich an der Tür zu Thisbes Zimmer vorbei. Auf dem oberen Treppenabsatz blieb ich noch einmal stehen, warf einen Blick durch den Spalt in Dads Arbeitszimmer. Er saß wie immer an seinem Schreibtisch, der Wand zugekehrt, neben ihm ein Apfel und eine Dose Cola light. Demnach war es bisher ein guter Tag.
Wie schon gesagt, hatte ich mich zu einer Expertin entwickelt, was die Gewohnheiten meines Vaters betraf, und dank meiner feinen Beobachtungsgabe herausgefunden, dass er jeden Tag nach dem Mittagessen einen Apfel mit ins Arbeitszimmer nahm. Falls es sich um einen guten Tag handelte, war er so ins Schreiben vertieft, dass er gar nicht dazu kam, ihn zu essen. An schlechten Tagen hingegen nagte er das Kerngehäuse bis zum letzten Fitzelchen ab, sodass es manchmal sogar in zwei Teile zerfallen auf dem Schreibtisch herumflog. An ungegessenen Apfeltagen tauchte er zur Abendessenszeit munter und gesprächig aus seinem Zimmer auf. An einem Kerngehäusetag – vor allem einem zweigeteilten – ging man ihm vorsichtshalber besser aus dem Weg. Sofern er überhaupt runterkam.
Wobei ich um diese Zeit selten da war, weil ich mich in der Regel gegen fünf zur Boutique aufmachte, mir unterwegs ein Sandwich besorgte und arbeitete, bis der Laden dichtmachte. Danach ging ich normalerweise eine Stunde lang am Strand spazieren und kehrte dann nach Hause zurück, allerdings nur, um mein Auto zu holen und drei bis vier weitere Stunden in der Gegend herumzufahren.
In etwa fünfzig Kilometer Entfernung hatte ich ein Lokal entdeckt, das
Wheelhouse Diner
, das die ganze Nacht über geöffnet hatte, mit
Ray's
allerdings nicht zu vergleichen war. Die Nischen waren eng und rochen nach Bleichmittel, der Kaffee war total wässrig. Außerdem bedachten einen die Kellnerinnen mit bösen Blicken, wenn man auch nur eine Minute länger blieb, als man brauchte, um das Bestellte zu verzehren, obwohl der Laden in der Regel gähnend leer war. Deshalb legte ich oft lieber einen Zwischenstopp an der Tankstelle ein, kaufte mir einen Maxibecher Kaffee zum Mitnehmen und nippte daran, während ich mich selbst durch die Gegend chauffierte. Nach kaum zwei Wochen kannte ich jeden Zentimeter von Colbys Straßen vorwärts und rückwärts …
Als ich in der Boutique ankam, war es
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