Dessen, S
mich. Er schwieg, drängte mich nicht weiterzusprechen. Was ich als sehr angenehm empfand, wie mir zwischendurch auffiel.
»Ich glaube«, fuhr ich schließlich fort, »rein zwischenmenschlich hab ich eine Menge verpasst in der Highschool.«
»Das bezweifle ich«, antwortete er, blieb kurz stehen und warf lässig eine Rolle Küchenpapier in den Einkaufswagen. »Meiner Meinung nach wird das ziemlich überschätzt.«
»Du hast gut reden, du gehörtest ja zu den Beliebten.«
Er warf mir einen schrägen Blick von der Seite zu. Wir bogen gerade um die Ecke, in die Suppenabteilung. Ein Stück weiter den Gang entlang stand ein Typ in langem Mantel und brabbelte vor sich hin. Das war eins der Dinge, die man zusätzlich beachten musste, wenn man so spät noch auf war: Die Verrückten waren nämlich auch unterwegs. Eli ging damit auf ähnliche Weise um wie ich – nicht glotzen, einen weiten Bogen darum herum machen, sich so normal wie möglich verhalten. »Wie kommst du darauf, dass ich beliebt war?«
»Ach, komm«, antwortete ich. »Du warst ein Bikeprofi. Natürlich warst du beliebt.«
»Woher willst du das wissen?«, entgegnete er. »Genauso gut könnte ich ein todlangweiliger Bikeprofi gewesen sein.«
Ich warf ihm einen langen Blick zu.
»Okay, ist ja gut, ich geb’s zu, ein Mauerblümchen war ich auch nicht gerade.« Er nahm erst eine Dose mit Tomaten-Reis-Suppe aus dem Regal, dann noch eine. »Und? Als ob das auf lange Sicht wichtig wäre.«
»Vielleicht doch.« Ich musterte den Inhalt des Einkaufswagens. »Inhaltlich habe ich echt Unmengen gelernt, hatte aber fast keine Freunde. Deshalb gibt es viel, was ich eben nicht weiß.«
»Zum Beispiel …?«
»Zum Beispiel, dass man nicht mit dem Freund eines anderen Mädchens in deren Küche rumsteht und quatscht.«
Wir entfernten uns von dem Brabbler, bogen um die nächste Ecke und gingen Richtung Milchprodukte, wobei wir an einem schläfrig wirkenden Angestellten vorbeikamen, der die Wurstwarenbestände auffüllte. »Tja, andererseits geht nichts darüber, eine Lektion zu lernen, indem man beinahe verprügelt wird«, meinte Eli. »Auf die Art wirst du sie vermutlich nie vergessen.«
»Schon«, antwortete ich. »Aber was ist mit all dem anderen?«
»Was meinst du?«
Ich zuckte die Achseln, beugte mich statt einer Antwort über den Einkaufswagen. Eli holte Milch ausdem Kühlfach, überprüfte das Verfallsdatum. Nicht zum ersten Mal in dieser Nacht schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass es sich eigentlich hätte seltsam anfühlen müssen, mit ihm zusammen zu sein. Hier, jetzt. Aber es war nicht seltsam, ganz und gar nicht. Was wahrscheinlich daran lag, dass es Nacht war. So war das mit Nachtdingen: Was einem im hellen Tageslicht total merkwürdig vorkam, störte einen ab einer bestimmten Uhrzeit nicht mehr. Als würde die Dunkelheit alles irgendwie glätten und weicher erscheinen lassen. Ich sagte: »Ich habe einfach das Gefühl, für einiges ist es vielleicht zu spät. All die Sachen, die ich in den vergangenen achtzehn Jahren hätte machen sollen, zum Beispiel auf Pyjamapartys gehen oder am Freitagabend Hausarrest haben und trotzdem heimlich rausgehen oder …«
»Oder Fahrrad fahren«, fiel er mir ins Wort.
Ich blieb mitsamt dem Einkaufswagen, den ich geschoben hatte, stehen. »Was soll das eigentlich, dieses ewige Gerede über Fahrräder?«
»Erstens arbeite ich in der Branche. Zweitens gehört es einfach zum Kindsein dazu«, antwortete er und ging weiter, Richtung Käsetheke. »Drittens ist es noch nicht zu spät.«
Ich schwieg. Mittlerweile hatten wir uns, nach dem Käseabstecher, auf den Weg zur Kasse begeben, von denen nur eine besetzt war. Ein Mädchen saß dort und begutachtete den Spliss in ihren Haaren.
»Auch für Pyjamapartys nicht.« Eli legte die Sachen auf das Band. »Nur heimlich abhauen, wenn man eigentlichHausarrest hat, kannst du wahrscheinlich von deiner Liste streichen.«
»Warum?«
»Weil es nach vier Uhr morgens ist und du dich im Supermarkt herumtreibst«, erwiderte er. Das Mädchen fing an, die Waren einzuscannen. »Ich schätze, damit gilt das als abgehakt.«
Ich sah ein paar Apfelmuffins nach, die übers Band davonglitten. »Ich weiß nicht«, meinte ich. »Vielleicht hast du recht, und das, von dem ich glaube, ich hätte es verpasst, wird tatsächlich überschätzt. Warum soll ich mich dann damit befassen?«
Er überlegte einem Moment, bevor er mit einer Gegenfrage antwortete: »Wer sagt, dass alles einen Grund
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