Dessen, S
Augen schloss und einschlief. Mrs Stock warf Eli einen strengen Blickzu: »Du solltest auch allmählich ins Bett. Musst du morgen früh nicht arbeiten?«
»Ja«, antwortete er. »Aber …«
»Dann ab mit dir nach Hause«, antwortete sie. »Lass mir deinen Autoschlüssel da, den Truck kannst du morgen früh abholen.«
»Soll das heißen, ich muss zu Fuß gehen?«, fragte er übertrieben empört.
Sie seufzte. »Eli Joseph, du wohnst gerade mal vier Straßen weiter. Du wirst es überleben.«
Eli grummelte vor sich hin, grinste aber, während er den Autoschlüssel auf den Tisch legte. »Danke, Mom«, sagte er. Sie hielt ihm die Wange hin, er küsste sie. Dann ging er zur Tür.
Ich folgte ihm auf die vordere Veranda. Warf einen Blick über die Schulter Richtung Küche, wo Mrs Stock saß und Isby im Arm wiegte. »Offenbar wird das keine lange Nacht heute, was?«
»Scheint so«, antwortete er. »Mom weiß nichts von meinen nächtlichen Aktivitäten.«
»Wäre sie dagegen?«
Er nickte. »Absolut. Ihrer Meinung nach kann alles, was nach Mitternacht passiert, nur ins Verderben führen.«
Ich sah ihn an und lächelte. »Deine Mutter ist zwar super, ehrlich, trotzdem – in dem Punkt bin ich anderer Meinung.«
»Ja«, meinte er. »Ich stimme dir zu. In beidem.« Er beugte sich vor und küsste mich. Ich legte meine Arme um seinen Nacken, um ihn noch näher an mich zu ziehen. Ich hätte die ganze Nacht so stehen bleibenkönnen, Verderben oder nicht, doch er löste sich nach einer Weile von mir, warf einen vielsagenden Blick Richtung Küche. »Ich gehe besser.«
Ich nickte. »Bis morgen.«
Er lächelte, lief die Stufen der Veranda hinunter, den Weg durch den Vorgarten entlang. Ich winkte ihm noch einmal zu und blickte ihm nach, während er im Dunkeln verschwand. Oben in meinem Zimmer stellte ich mich ans Fenster und schaute in die Richtung, in die er gegangen war. Während die Nacht verging, wurden immer mehr Lichter gelöscht, bis nur noch wenige zu sehen waren. Ich suchte mir eins aus, das etwa vier Querstraßen entfernt war. Und dieses Licht beobachtete ich, wie man einen hell leuchtenden Stern beobachtet. Die ganze Nacht. Bis zum Morgen.
Elf
Ungefähr eine Woche später: Mein Bruder sollte gegen fünf Uhr nachmittags ankommen. Um halb fünf klingelte mein Handy.
»Ich rufe bloß an, um dich zu warnen«, verkündete meine Mutter.
Wir hatten nicht mehr miteinander gesprochen, seit ihr Besuch in Colby so katastrophal geendet hatte. Doch das schien Geschichte zu sein. Zumindest konnte man diesen Anruf als Zeichen in die Richtung deuten. Trotzdem blieb ich auf der Hut, als ich nun fragte: »Weswegen warnen?«
Eine Pause entstand, während sie einen Schluck trank – wahrscheinlich ihr erstes Glas Wein. Schließlich antwortete sie: »Diese Laura.«
Das Demonstrativpronomen sagte eigentlich schon alles, aber ich fragte trotzdem nach: »Was? Magst du sie etwa nicht?«
»Auden«, sagte sie und ich konnte beinahe hören, wie es sie schauderte. »Sie ist grauenhaft.
Grauenhaft
. Keine Ahnung, warum und worauf dein Bruder sich da eingelassen hat, aber sie hat ihm definitiv eine Art Gehirnschaden zugefügt. Diese Frau, sie ist … sie ist …«
Meine Mutter war eigentlich nie um Worte verlegen. Ich fing fast an, mir ein wenig Sorgen zu machen.
»…
Naturwissenschaftlerin «
, vollendete meine Mutter den Satz schließlich. »Einer dieser grässlich kalten, systematisch vorgehenden Menschen, Hauptinteresse: Hypothesen und Kontrollgruppen. Und mit einem Riesenego obendrein, denn sie geht wie selbstverständlich davon aus, dass der Rest der Menschheit ihr Interesse teilt. So etwas hast du noch nicht erlebt. Gestern Abend hat sie es geschafft, uns während des gesamten Abendessens mit einem Vortrag über myelinhaltige Zellen zu langweilen.«
»Über was?«
»Genau«, erwiderte meine Mutter. »Die junge Dame hat weder Herz noch Seele. Sie ist nur ein paar Jahre älter als dein Bruder, verhält sich aber wie eine puritanische Oberlehrerin. Ich bin mir sicher, sie wird Hollis aussaugen, ihm alles nehmen, was einzigartig an ihm ist, was ihn ausmacht. Einfach unerträglich.«
Ich sah durch die geöffnete Zimmertür: Heidi wuselte geschäftig im Arbeitszimmer meines Vater herum, das sie als zweites Gästezimmer hergerichtet hatte. Sie hatte Thisbe in ihre Tragwippe verfrachtet, von wo aus das Baby geduldig zuschaute.
Seit jener einen Horrornacht hatte sich die Lage etwas verbessert. Mrs Stock war bis zum
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