Dessen, S
»Okay.« Er streckte die Arme aus. »Gib sie mir.«
Ich blickte ihn zweifelnd an. »Was soll das werden?«
»Hast du meine Mutter nicht gehört?«, fragte er zurück. »Du sollst mir vertrauen.«
»Sie sagte, ich solle
ihr
vertrauen.« Den konnte ich mir nicht verkneifen.
»Vertraust du mir etwa nicht?«
Ich sah erst ihn an, dann die Decke, dann Isby, die mittlerweile unüberhörbar protestierte. Vor meinem inneren Auge erschien plötzlich: Eli – wie er mich im
Tallyho
mit sich auf die Tanzfläche gezogen hatte. Nicht einmal vierundzwanzig Stunden war das her. Behutsam legte ich Isby in seine Arme.
Isby brüllte jetzt wie am Spieß, ihr Gesicht war puterrot. Eli legte sie vorsichtig auf die Decke, das Köpfchen genau an den Rand. Sie strampelte wie verrückt, doch er hielt ihren linken Arm nah an ihrem Körper, zog den oberen Teil der Decke um sie herum, legte dann den unteren Teil der Decke über ihre Schulter. Mit jeder Bewegung steigerte Isby ihre Lautstärke.
»Eli!« Ich musste fast selbst brüllen, um sie zu übertönen. »Du machst es bloß schlimmer.«
Er hörte mich nicht – oder wollte mich nicht hören –, sondern schnappte sich den letzten Zipfel und wickelte die Decke fest um den kleinen Körper. Isby veranstaltete ein Spektakel wie noch nie zuvor.
»Eli!«, wiederholte ich, so laut ich konnte, während er den Zipfel enger zog und zwischen die Falten steckte, damit er nicht verrutschen konnte. »Hör auf! Sie ist doch kein …«
Ich brach ab, denn plötzlich herrschte Stille. So unvermittelt, dass ich für einen Moment glaubte, Isby sei tot.Doch als ich einen panischen Blick auf sie warf, lag sie einfach nur da, wie ein Burrito in Babygestalt, und blinzelte uns verwirrt an.
»Sie weint ja gar nicht mehr«, stellte ich verdattert – und unnötigerweise – fest. Eli reichte mir das kleine Isby-Paket. »Wie hast du das denn geschafft?«, fuhr ich fort.
»Zuviel der Ehre«, meinte er. »Mit mir persönlich hat das im Prinzip nichts zu tun.«
Ich ließ mich behutsam aufs Bett gleiten. Isby öffnete den Mund, allerdings nur, um zu gähnen, und kuschelte sich dann an mich.
»Es liegt an der Einwickeltechnik. Ein echter Zaubertrick. Meine Mutter schwört drauf.«
»Wahnsinn«, antwortete ich. »Woher kennt sie so etwas?«
»Sie war Krankenschwester auf der Neugeborenenstation«, erwiderte er. »Ist erst letztes Jahr in Rente gegangen. Außerdem hat sie vier Enkelkinder, von meinem Bruder und meiner Schwester. Wenn du dann noch uns dazuzählst, ist klar: Da steckt eine Menge Erfahrung hinter. Und Übung.«
An der Tür ertönte ein leises Klopfen. Mrs Stock steckte den Kopf herein. »Heidi ruht sich ein bisschen aus«, meinte sie. »Kommt, wir gehen nach unten.«
Heidi rumorte im Schlafzimmer. Aber noch während ich meinen Fuß auf die oberste Treppenstufe setzte, machte sie schon das Licht aus.
Wir gingen in die Küche. Mrs Stock wusch sich die Hände. »Und nun« – lächelnd wandte sie sich mir zu – »gib mir den kleinen Schatz.«
Sie setzte sich mit dem Baby auf einen Stuhl, strich ihr zart über die Stirn. »Gut gewickelt«, meinte sie.
»Eli ist ein Profi«, erwiderte ich.
»Nö, ich hatte nur eine gute Lehrerin«, sagte er. Mrs Stock wiegte Isby in ihrem Arm, klopfte sanft ihren Rücken. Wir sahen zu.
»Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte ich, mindestens zum zweiten Mal. »Heidi war in letzter Zeit immer sehr angespannt. Aber als ich heute nach Hause kam … ich wusste einfach nicht, was ich machen soll.« (Auch das sagte ich nicht zum ersten Mal.)
»Es ist alles noch ganz neu.« Mrs Stock betrachtete Isby aufmerksam. »Sie ist einfach vollkommen erschöpft – ganz normal für junge Mütter.«
»Mein Vater versucht ständig, sie zu überreden, dass sie sich Hilfe besorgt. Aber sie weigert sich.«
Mrs Stock überprüfte den Sitz der Decke. »Als Steven geboren wurde, unser Ältester, hat meine Mutter einen Monat lang bei uns gewohnt. Ohne sie hätte ich es nie und nimmer geschafft.«
»Heidis Mutter ist vor ein paar Jahren gestorben.«
»Ja, das hat sie erzählt«, antwortete Mrs Stock. Ich sah Heidis Gesicht vor mir, ganz zerknittert und verheult, während sie sich an Mrs Stock lehnte, dort im Dunkeln. Was sie ihr wohl noch alles erzählt hatte? »Es gibt nichts Härteres auf der Welt, als Mutter zu sein. Das ist Schwerstarbeit, daran ist nicht zu rütteln. Aber das wird schon. Sie muss nur mal richtig ausschlafen.«
Worauf zumindest schon mal Isby die
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