Dessen, S
»Natürlich.«
Er musterte mich einen Moment prüfend, dann sagte er: »Wobei ich eigentlich besser den Mund halten sollte. Schließlich war ich mal genau wie sie.«
Erneut verschlug es mir die Sprache. Wie reagierte man, wenn das, was man schon die ganze Zeit über gedacht hatte, endlich laut ausgesprochen wurde? Immerhin blieb es mir erspart, antworten zu müssen, denn Adam entdeckte uns. »He, Auden! Komm her, du musst einen Streit schlichten!«
Hollis blickte zu Adam und Wallace hinüber. »Freunde von dir?«
»Ja«, antwortete ich, was Hollis zu überraschen schien. Ich versuchte, sein Erstaunen nicht persönlich zu nehmen.
Wir liefen zu den beiden hinüber. Ich stellte Hollis als meinen Bruder vor. Adam hüpfte von der Bank und hob theatralisch die Hände. »Okay«, verkündete er. »Wir sind fast so weit mit dem neuen Namen für den Laden.«
»Genauer gesagt haben wir die Liste auf zehn Namen eingedampft«, fügte Wallace hinzu, den Mund voller Chipskrümel.
»Zehn?«, fragte ich.
»Von denen allerdings nur fünf etwas taugen«, fuhr Adam fort. »Deswegen machen wir gerade eine inoffizielle Umfrage, um herauszufinden, wer auf welchen Namen abfährt.«
Hollis, für jeden Spaß zu haben, schaute zu der leeren Markise hoch. »Wie heißt er denn momentan?«
»Fahrradladen«, erwiderte Wallace, worauf Hollis ihn mit einem ungläubigen Blick bedachte. »Ist nur provisorisch.«
»Seit drei Jahren«, fügte Adam prompt hinzu. »Also, aufgepasst. Auf der Liste stehen:
Raketenräder
,
Männer in Ketten
,
Colby Cycles
…«
Ich war vorübergehend abgelenkt, denn in diesem Moment schob Eli ein kleines, pinkfarbenes Rad mit Stützrädern in mein Blickfeld. In der anderen Hand hielt er einen Helm. Hinter ihm trat ein Paar mit einem kleinen Mädchen aus dem Laden.
»…
Achsen & Kurbelwellen
und
Schwerter zu Pedalen
«, schloss Adam seine Aufzählung ab. »Was meint ihr?«
Hollis überlegte kurz. »
Männer in Ketten
oder
Achsen & Kurbelwellen «
, erwiderte er schließlich. »
Raketenräder
ist langweilig,
Colby Cycles
klingt zu sehr nach Großkonzern …«
»Genau das habe ich auch gesagt.« Triumphierend deute Wallace auf Hollis.
»Und
Schwerter zu Pedalen
… keine Ahnung, was ich dazu überhaupt sagen soll.«
Adam seufzte. »Der Vorschlag kommt am wenigsten an. Er steht auch bloß noch auf der Liste, weil er von mir stammt. Und du, Auden? Was denkst du?«
Ich sah immer noch zu Eli hinüber, der sich gerade über das pinkfarbene Minirad beugte und die Sattelhöhe einstellte. Das kleine Mädchen, rothaarig, in blauen Shorts und Giraffen- T-Shirt , stand daneben, klammerte sich an die Hand ihrer Mutter und hatte offenkundig ziemliche Angst.
»Wie schon gesagt«, meinte Eli, »ist das Rad für Anfänger perfekt geeignet.«
»Sie möchte es auch gern lernen«, sagte die Mutter und strich der Kleinen liebevoll übers Haar. »Sie ist bloß ein wenig nervös.«
»Dazu gibt es gar keinen Grund.« Eli richtete sich auf, schaute das Mädchen an. »Die Stützräder sorgen dafür, dass du gar nicht umfallen kannst, bis du den Dreh raushast. Und eines Tages brauchst du sie dann nicht mehr.«
»Wie lange dauert das in der Regel ungefähr?«, erkundigte sich der Vater. »Im Durchschnitt?«
»Das ist sehr unterschiedlich«, erwiderte Eli. »Sie wird selber merken, wann sie so weit ist.«
»Was meinst du, Süße?«, fragte die Mutter. »Möchtest du es mal ausprobieren?«
Das Mädchen nickte zögernd, trat einen kleinen Schritt vor. Eli setzte ihr den Helm auf und half ihr, aufs Fahrrad zu steigen. Sie legte die Hände auf den Lenker, umschloss die Griffe sorgfältig mit ihren Fingern.
»Gut gemacht, mein Schatz«, sagte der Vater. »Und jetzt trittst du einfach in die Pedale, wie auf deinem Dreirad.«
Das Mädchen setzte die Füße auf die Pedale, drückte sie zaghaft ein wenig nach unten – das Rad rollte einwinziges Stückchen vorwärts. Sie blickte zu ihren Eltern hoch. Wagte dann einen neuerlichen Versuch. Weil das Rad sich wieder nur ein winziges bisschen vorwärtsbewegte, legte Eli behutsam seine Hand auf den Gepäckträger und schob es sachte an. Die Kleine trat immer noch in die Pedale und merkte gar nicht, dass sie geschoben wurde. Doch als sie dann tatsächlich losfuhr, drehte sie sich zu Eli um und strahlte übers ganze Gesicht.
»Auden?«
Ich wandte mich um. Adam blickte mich erwartungsvoll an. »Äh«, sagte ich, »richtig gut finde ich keinen, ehrlich gesagt.«
Seine Enttäuschung
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