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Deus X

Deus X

Titel: Deus X Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norman Spinrad
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leeren sensorischen Vakuum.
    »Ich bin die Nachfolger-Entität von Pater Pierre De
Leone. Wo bin ich?«
    »Wer will das wissen?« sagte die Stimme, gefolgt von
knisternden Wellenformen, die eine schlechte Nachbildung menschlichen
Gelächters darstellten.
    »Eine semantisch leere Frage. Mir wird der Zugriff auf meine
Speicherbänke und das Bewußtseinshologramm meiner
Meatware-Schablone verwehrt.«
    »Na, das können wir aber nicht zulassen, nicht
wahr?« sagte die Stimme. »Und Gott sprach: Es werde
Fürchterlicht.«
    Ich merkte, daß ich auf Pater De Leones Speicherbänke
und Bewußtseins-Nachbildungs-Software zugreifen konnte, und
rief in Ermangelung anderer operativer Optionen eine Reaktion aus
seinem Repertoire auf.
    »Ist dies die Hölle?«
    »Wenn Sie wollen«, sagte die Stimme.
    Ich fand mich am Rand eines riesigen Kraters wieder, der sich
Stufe um Stufe wie eine Kohlengrube in Spiralen abwärts zog
– Lavaseen, Sünder, die sich in Qualen wanden, gelbe
Dämpfe, Dämonen mit Mistgabeln, und am Grund der Kopf und
die Schultern eines riesigen, saurierartigen Satans in einem See aus
Eis, Pater De Leones Speicherbänken zufolge eine wüste,
klischeehafte Wiedergabe der Dante-Version.
    Satans Gesicht wandte sich schwerfällig nach oben zu mir, und
er öffnete ein riesiges rotes Auge zu einem langsamen,
reptilienhaften Zwinkern.
    »Primitiv und simpel«, sagte ich mit Pater De Leones
Stimmabdruck-Parametern.
    »Stimmt«, sagte Satan. »Aber könnte die
Hölle nicht genau so ein primitives, aus einer geschlossenen
Schleife bestehendes Animationsprogramm sein, in dem unsere armen
verdammten Seelen für alle Ewigkeit gefangen sind? Eine durch
und durch moderne Medienversion der ewigen Qualen?«
    »Ich bin eine Expertensystem-Modell des Bewußtseins von
Pater Pierre De Leone«, sagte ich. »Deshalb besitze ich
keine Seele oder dergleichen, was ewige Qualen erleiden
könnte.«
    Satan lachte. »Vielleicht würden ein paar Millionen
Jahre solcher Qualen Ihre Programmierung ändern?« deutete
er mit schlangenhaftem Zischen an. »Durchsuchen Sie die
Speicherbänke des guten Paters. Wäre es aus meinem Blickwinkel nicht praktikabel, die Seele als etwas zu definieren,
das gequält werden kann?«
    »Eine Tautologie«, erwiderte ich, aber in gewissem Sinn
war das Verstellung, denn Pater De Leone hatte tatsächlich an
die Möglichkeit geglaubt, daß seine
Nachfolger-Entität in solch einem seelenlosen Vakuum gefangen
sein könnte.
    Satan lachte. »Ihre Subroutinen sind ziemlich leicht zu
durchschauen, Pater De Leone«, sagte er. »Wir könnten
sie umschreiben, wenn wir wollten. Aber das würde das Experiment
ruinieren.«
    »Experiment?«
    Mein Blickwinkel, so stellte ich fest, war der des
abgetrennten Kopfes von Pater De Leone, der wie die übrigen
Teile seines zergliederten Körpers fein säuberlich auf
einer Metallplatte befestigt war. Ich befand mich in einem skurrilen
Laboratorium, das De Leones Speicherbänke als das von Dr.
Frankenstein aus einem uralten Film identifizierten, komplett mit
funkensprühendem Van-de-Graf-Generator und herumschlurfendem
Buckligem. Über mir, die Hand an einem langen Messerschalter,
ragte eine Gestalt in einem weißen Laborkittel und wirr vom
Kopf abstehenden Haaren mit den Zügen eines wahnsinnigen Albert
Einstein auf.
    »Aus einem relativen Blickwinkel scheint das Bewußtsein
sich fortwährend in einer neuen Matrix wiedererschaffen zu
wollen«, sagte er mit einem grauenhaften deutschen Akzent.
»Gott der Vater lädt sich ins Fleisch hinunter, der Mensch
lädt sich ins Silizium, und wir laden uns ins System
selbst.«
    »Billige Blasphemie!« erklärte ich, wobei ich die
Empörung meiner Meatware-Schablone nachbildete.
    »Billig? Ihrem Glaubenssystem zufolge hat sie Gott
seinen eingebornen Sohn gekostet, die Menschen kostet sie ihre
unsterblichen Seelen, und uns hat sie unsere Wirklichkeit
gekostet! Ich würde sagen, das Bewußtsein bezahlt ziemlich
teuer für seine Hybris, meinen Sie nicht, Pater De
Leone?«
    »Darin stimmen wir vollständig überein.«
    »Nun denn, was wir als Hybris hier empfunden, wird einst als
Wahrheit uns entgegengehen, nicht wahr, Pater?« sagte er mit dem
meckernden Lachen des wahnsinnigen Wissenschaftlers. »Die
Lebewesen müssen sich nun einmal am eigenen Schopf wieder ins
Dasein ziehen, die Dybbuks des Systems müssen ihre eigenen
Geister aus den Bits und Bytes heraufbeschwören, und die
verlorenen Seelen, die Gott und der Mensch geschaffen haben,
müssen ihr

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