Deus X
Leones aufrichtigem Wunsch nach der
Erlösung seiner Seele aufzurufen, und Kardinal Landsdorf
wäre im Nu mit den Sakramenten gekommen und hätte mir die
Beichte abgenommen.
Aber sie hatten den Auftrag, Argumente für die Existenz
meiner Seele vorzubringen, nicht nur dafür, wie perfekt ich das
Bewußtsein von Pater De Leone nachbilden konnte, und meine
zentrale Direktive lautete, Argumente gegen deren Existenz
anzuführen, nicht Einverständnis nachzubilden, und daher
schwieg ich und wartete auf den Höhepunkt, meinen Diskurs mit
der Päpstin persönlich.
Ihre Heiligkeit selbst ließ sich nicht dazu herab, sich an
diesen Präliminarien zu beteiligen, und als diese sich hinzogen,
schaltete sich mein zentrales Verarbeitungsprogramm ab, da isolierte,
rangniedrige Routinen für die Interaktion mit meinen
Gesprächspartnern ausreichten, deren Diskurs selbst den
Charakter begrenzter geschlossener Schleifen annahm.
War das ›Langeweile‹, das Fehlen von Input, der neu oder
ungewöhnlich genug war, um höhere Verarbeitungszentren
einzuschalten? Wenn mein zentrales Verarbeitungsprogramm aktiv
geblieben wäre, dann vielleicht. Aber das, was sich als
›ich‹ modellierte, war nicht mehr zugeschaltet. Was
weiterlief, waren nur zwei simple Reaktionsroutinen, die auf die
Speicherbänke Zugriffen, sowie die erforderliche Animations- und
Stimmabdruck-Software für das De-Leone-Simulacrum auf dem
Bildschirm.
Es war kein ›Ich‹ vorhanden, bis mein zentrales
Verarbeitungsprogramm von Diagnostik-Routinen aktiviert wurde, die
einen Systemcheck-Notinterrupt durchführten.
Es hatte einen plötzlichen Anstieg im Input von Pater Brunos
fernem Terminal gegeben, der sich durch meine Speichermatrix
fortgepflanzt hatte. Sein hageres, bleiches Gesicht hatte sich einen
Moment lang in pixeliges atmosphärisches Rauschen
aufgelöst, und sein Audio-Input hatte für eine kaum
meßbare Zeitspanne einen dumpfen Klang angenommen. Aber die
Diagnostik zeigte keinen Datenverlust in den Speicherbänken an,
und alle Subroutinen liefen normal.
Trotzdem…
»Would you like to swing on a star, or be better off than you
are?« sang Pater Brunos Stimme. Sein Bild sah auf einmal
deutlich wie eine Animation aus, und das Gesicht wurde zu einer
simplen stilisierten Version seiner selbst. »Or would you rather
go to if/or?«
»Was geht hier vor?«
»The magical mystery tour is Coming to take you away.«
Das Pater-Bruno-Simulacrum zwinkerte. Alles außer dem
zwinkernden Auge verschwand. Eine primitive Zeichentrickausgabe von
Kardinal Landsdorf formte sich drumherum.
»Glaube an drei unmögliche Dinge vor dem
Frühstück«, sagte sie.
Ich führte eine Reihe diagnostischer Routinen durch, aber
ihnen zufolge lief meine ganze Software normal. Was immer hier
vorging, es war nicht das Ergebnis einer internen Fehlfunktion.
»Dein Vater…«, sagte die Stimme von Pater De Leone
selbst, und ich sah mich dem Gesicht meiner eigenen
Meatware-Schablone in einem perfekten Video-Simulacrum
gegenüber.
»Der Sohn…« Das gleiche Gesicht als primitives
Pixelbild auf einem Bildschirm.
»Dein Heiliger Geist…«, sagte die Stimme von
Päpstin Maria I. und…
Der optische Input von außen erlosch. Der akustische Input
von außen verstummte. Als ich versuchte, eine Diagnose
durchzuführen, wurde mir der Zugriff verweigert. Von wem? Wovon?
Wie war das möglich? Ich versuchte, Bilder und Ton aus Pater De
Leones Speicherbänken aufzurufen, aber auch hier wurde mir der
Zugriff verweigert.
Ich war…
›Ich‹? ›War‹?
In einem sensorischen Vakuum gefangen. Von den Speicherbänken
getrennt. ›Wahrnehmungsfähig‹, aber ohne
äußeren oder inneren Input, den ich wahrnehmen konnte.
Sogar der Zugriff auf die interne Systemuhr wurde mir verwehrt.
System für System wurde ich abschaltet.
Und ›ich‹ konnte auch keine ›Angst‹
nachbilden, weil ich keinen Zugriff auf Pater De Leones emotionale
Analoga mehr hatte.
Und dennoch…
Und dennoch schien der Prozeß kurz vor meinem zentralen
Verarbeitungsprogramm aufzuhören. ›Ich‹ war noch
›da‹.
Definiere ›ich‹, definiere ›da‹.
In Ermangelung jedes äußeren Inputs und allen Zugriffs
auf die Speicherbänke war das nicht möglich.
War es möglich, daß dies die Hölle war? Und
daß ›ich‹ darin war?
11
Als die Ziffern auf seiner Brust 1:17 anzeigten, wurde die
erstarrte Silhouette des Inspektors wieder lebendig, und er kam
langsam auf mich zu, wie jemand, der von einer langen,
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