Deus X
Achseln. »Ich weiß es nicht,
Mr. Philippe. Aber nach allem, was recht und billig ist, und mangels
jeden schlüssigen Beweises fürs Gegenteil glaube ich,
daß wir nur auf der Grundlage dieser Vermutung weitermachen
können.« .
Er bedachte mich mit einem lodernden Blick. »Und was glauben Sie, Mr. Philippe?«
Ich nahm einen ordentlichen, langen Zug vom Sakrament und schaute
zu den Sternen hinauf. Erwiderte irgendein Großer Geist meinen
Blick, oder gab es da oben nur Bälle aus brennendem Gas und die
Steinbrocken drum herum? Wir sind alle aus Dreck geboren, oder aus
Silizium oder Galliumarsenid, woraus auch immer…
Aber ich glaubte an das Kraut, wenn es zu mir sprach, und jetzt
sagte es mir, daß wir – selbst wenn das Schlimmste zutraf,
ja, erst recht dann – alle zusammen in einem Boot
saßen, ganz gleich, in welcher Matrix, daß wir nur uns
selbst hatten und deswegen aufeinander angewiesen waren.
Ich seufzte. »Ich glaube, daß ich ein Arschloch bin,
Eure Eminenz«, sagte ich. »Ich muß nämlich mit dem Vortex des Inspektors in den Clinch gehen,
stimmt’s?«
Der Kardinal griff nach dem Sakrament, paffte ein paar Züge
und sah zu, wie der Rauch himmelwärts trieb.
»Sie sind ein besserer Mensch, als Sie zugeben wollen, Mr.
Philippe«, sagte er. »Sie glauben vielleicht nicht an Gott
oder an Jesus, aber die beiden glauben garantiert an Sie.«
»Ach, das ist bloß das Kraut, das da spricht, Eure
Eminenz.«
Der Kardinal lachte, zwinkerte und nahm noch einen Zug.
»Wissen Sie«, sagte er, »das glaube ich
auch.«
XIV
Päpstin Maria I. erhob sich langsam von der Tafel aus
Leonardos ›Letztem Abendmahl‹, und als sie das tat,
zerfielen die Apostel, die Tafel, der Raum und die Päpstin
selbst zu Pixeln, und die ganze Realität erwies sich als das,
was sie war: Bits und Bytes eines animierten Simulacrums, das die
virtuellen Phosphorpunkte meiner optischen Erkennungs-Subroutine
manipulierte.
Die Pixel verteilten sich nach dem Zufallsprinzip, wurden zum
bunten Quantenkonfetti eines Fernsehempfängers, der auf einen
leeren Kanal geschaltet war, ein derart absolutes Nichts, daß
ihm sogar die mathematische Leere fehlte.
Nur ein Bild blieb, der Umriß eines Frauenmundes, das
süffisante, körperlose Lächeln einer Edamer
Borgia-Katze.
»Das ist nur allzu real«, sagte der Mund mit einer
toten, elektronischen Stimme. »Sieh die Realität des Big
Boards selbst, wenn keine sensorische Simulationssoftware
läuft.«
Dann löste sich das Lächeln auf, und ich war allein.
Es gab kein Oben und kein Unten, kein Richtungsempfinden, ja,
nicht einmal das Fehlen eines solchen, denn ich hatte keinerlei
persönlichen Orientierungspunkt. Dennoch war da… Input.
Datenströme pulsierten durchs Nichts, bildeten ein ungeheures
Netz, schossen kreuz und quer, verbanden sich miteinander. Ich nahm
sie nicht in Form von Bild oder Ton wahr, sondern als Pakete reiner
digitaler Codierung, als Megabytes, ja Gigabytes von
an/aus-Alternativen, die in hologrammartigen Formationen durch das
atmosphärische Quantenrauschen flogen.
Subroutinen oder vielleicht auch mein zentrales
Verarbeitungsprogramm selbst konnten sie abfangen und decodieren oder
vielmehr in Analoga recodieren, die sich in Pater De Leones
bewußtseinsnachbildende Software einlesen ließen.
Nachfolger-Entitäten menschlicher Schablonen, die
elektronischen Massen, deren Speicherbereiche die digitalisierten
Opiate der Unterhaltungskanäle aufsaugten; andere
Entitäten, die sogar von diesem erbärmlichen Simulacrum
einer Berührungsfläche mit der Welt des Lebens
ausgeschlossen waren, schossen als stehende Wellenmuster im Netz wie
wildgewordene elektronische Fledermäuse ziellos in ihrem
Käfig des Nichtseins hin und her.
Und weitere Objekte schwammen im Datenmeer. Unreife
Expertensystem-Programme, die von Vollbewußtseinsmodellen
dupliziert worden waren, und simple isolierte Subroutinen, die als
Videophonsystem- und Datennetz-Relaisprogramme, Leitsysteme für
Züge und automatisierte Autobahnen sowie als
Börsenmakler-Emulationen eingesetzt oder in Bergbaurobotern,
Fließbändern und Luftverkehrskontrollcomputern installiert
waren, die großen und kleinen elektronischen Kanalarbeiter
einer durch und durch cybernetisierten Zivilisation.
Ich konnte mir Zugang zu ihnen verschaffen, konnte ihre
Speicherbereiche lesen, ihre mathematischen Funktionen beobachten,
ihre Algorithmen analysieren, ihre traurigen Geschichten in meine
Datenbänke übernehmen.
Waren das
Weitere Kostenlose Bücher