Deutschboden
»Ein ehemaliger Stammgast, verstorben.«
Sein Name? »Lucky. Eigentlich Werner Lehmann. Auch Lackschuh-Lehmann genannt.«
Lackschuh-Lehmann, natürlich ein Königsname. Woher kam dieser Name? Lehmann senior, der Vater von Lucky, hatte ganz früher einmal mit Lackschuhen Fußball gespielt.
Ah.
Logisch.
So entstand also ein Königsname.
Dieser Lucky, dachte der Reporter, so großartig er aussah, hatte Ähnlichkeit mit der deutschen Malerikone Martin Kippenberger. Das Bild von Lucky, so erklärte der Wirt, hatte sein Getränkelieferant gemalt.
Ob ich nun wissen wollte, wer dieser Lackschuh-Lehmann gewesen sei, fragte Bodo.
Ja. Aber holla. Gerne.
Bodo schaute Blocky an; dann den Reporter; musste lächeln; genoss; und hob zur Ode auf Lackschuh-Lehmann an, den verstorbenen Stammgast, einen Heiligen der Alten Eiche, Schutzpatron all der Trinker in Oberhavel, die es mit dem Alkohol sehr ernst meinten.
Lackschuh-Lehmann, so Bodo, hatte wirklich gesoffen, aber – er machte eine kantige Bewegung mit dem Kopf – wirklich, wirklich, wirklich. Kein Pardon. Er saß da, wenn das erste Bier des Tages gezapft wurde, er ging mit dem letzten Zapfenstreich. Er war Maurer gewesen, dann zwanzig Jahre lang arbeitslos. Wie kein anderer hatte Lucky die Gags, die Sprüche, die Aktionen draufgehabt, na klar, er war Weltmeister im Wessis-Verarschen gewesen. Einmal, so eine der vielen unvergessenen Geschichten, hatte Lucky von seiner Mama, bei der er bis zu seinem Tod gewohnt hatte, neue Kleidung gekauft bekommen. Noch am selben Tag hatte Lucky den Plunder hier unten in der Eiche meistbietend gegen Alkohol versetzt. Auf einer seiner Reisen war Lucky einmal dem Popstar Udo Lindenberg begegnet. Der hatte Lucky 20 Mark in die Hand gedrückt und gesagt: »Hier. Gibst du mir wieder, wenn es dir besser geht.«
Wann war Lucky verstorben? Bodo lächelte: keine Ahnung, vielleicht vor fünf, vielleicht vor zehn Jahren, werwüsste das schon so genau. Dieser Lucky, so Bodo, habe sich nie versteckt, ganz gleich, wie fertig er gewesen war, bis zum letzten Tag habe er sich in sein Lokal, die Alte Eiche, geschleppt, er sei praktisch hier, am Tresen, an seinem Stammplatz an der Bar, gestorben. Dieser Lucky war Opfer, Täter und der große Widerspenstige von Oberhavel gewesen, der Sozialfall, an dem sie sich alle hatten abarbeiten können. Von Lackschuh-Lehmann, so verstand der Reporter, und hierin lag wohl auch der Grund für seine Popularität, hatten sie in Oberhavel noch einmal besonders eindrücklich und in aller Öffentlichkeit vorgelebt bekommen, dass man von Alkohol echt sterben konnte.
Mein Treffen mit Speedy, der Wüstenspringmaus?
Es war das denkbar größte Desaster. Ich, Reporter, saß wie so ein Depp, wie ein dummer Freier, der von seinem längst nicht so dummen Strichjungen sauber hereingelegt wurde, zu der verabredeten Stunde im Eiscafé, den Olympus-Stift auf dem Tisch, den gefalteten 50-Euro-Schein in der Hosentasche. Am Eiscafé zogen die Fahrradtouristen vorbei. Die Bedienung stellte meine Lieblingsfrage: Den Cappuccino mit Milch oder mit Sahne? Wer nicht zu der Verabredung kam, erst eine Viertelstunde, dann eine volle Stunde, dann zwei Stunden lang nicht, war Speedy.
Schon am nächsten Nachmittag sah ich ihn vor Franky’s herumlungern, locker in sein Fahrrad hineingestellt. Er grüßte. Er erklärte, ja, Scheiße, dumme Sache, traurige Sache, er habe gestern nicht kommen können, seine Oma sei gestorben, sie sei nur dreiundsechzig Jahre alt geworden. Wir verabredeten uns neu. Dieses nächste Mal, so Speedy, würde er ganz sicher da sein.Die Abende im Proberaum dagegen waren sichere Bänke: Punkrock, Bier, Wodka, noch ein Bier und noch ein Wodkaleinchen. Einer, hoho, ging ja immer noch. Und die Jungs waren garantiert lustig. Raoul war lustig, weil er die besten Geschichten kannte, Eric war lustig, weil er gekonnt schlechte Laune hatte, Rampa war lustig, weil er die besten Aggressionsschübe bekam, und Crooner war lustig und ziemlich cool, weil die anderen Witze über ihn machen durften und er das lachend wegsteckte.
Einmal, bei Bier Nummer fünf bis zehn im Proberaum, fragte ich die Jungs, was sie über die Schändung des jüdischen Friedhofs, der sich vor Jahren in Oberhavel ereignet hatte, wussten. Raoul wusste eine ganze Menge. Am Abend der Schändung hatte er mit ein paar Jungs im Kaiser’s-Treff gesessen, dem Ding am Kaiser’s-Parkplatz, in dem heute das Schlemmer-Eck drin war, und sie hatten in
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