Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
Vom Netzwerk:
wurde schmal. Der Fiat setzte auf. Ich bremste, fuhr langsam, vielleicht zwanzig Stundenkilometer schnell. Der Mond stand über dem Wald, da wo er immer gestanden hatte, wenn ich in dieser Gegend mit dem Auto unterwegs war, wie eine große weiße Lampe warf der Mond sein Licht auf den Weg. Nach etwa fünf Minuten kam links am Wegesrand eine Lichtung. Eine Waldwiese. Das Gras stand hoch. Ich hielt an, guckte. Ich sah weiter nichts. Ich fuhr weiter. Es kam weiter nichts. Nach noch mal zwei Minuten drehte ich um.
    Ich fuhr die Strecke zwischen dem Hinweisschild und der Stelle, an der ich gewendet hatte, noch einmal vor und wieder zurück. Beim zweiten Rückweg fand ich nicht einmal die Lichtung wieder. Es tat der Fiat, als er erneut aufsetzte, einen finsteren Schlag. Mich ergriff eine irre Hektik. Ich wollte runter von diesem Sandweg, zurück auf die Straße nach Oberhavel. Ich überlegte, was die Jungs wohl sagen würden, wenn sie erfuhren, dass ihr Deutschboden ein Nichts im Wald war. Dann überlegte ich, dassich ihnen von diesem Ausflug besser nicht erzählen würde. Das Fazit dieser Abzweigung fiel mir fast ein wenig zu deutlich aus: Es gab kein Deutschboden. Es war alles eine große Irreführung. Es gab absolut nichts zu sehen.
     
    Mit Maria gab es noch eine schöne Begegnung. Ich stand in der Tür zum Haus Heimat, als sie, die hinterm Tresen zu tun hatte, den rechten Arm aus dem Spülwasser zog und ihre Hand flach auf die Theke legte. Sie sah ihre Hand an, dann sah auch ich diese Hand an, die, rot vom heißen Spülwasser, auf der Theke lag, und sie fing, noch während ich in der Tür stand, einen Vortrag über ihre Fingernägel an.
    »Ditt wolltest du doch wissen«, sagte sie.
    Sie sprach mit einem kleinen Lächeln und einem kleinen Stimmchen, sie sah, während sie sprach, immerfort ihre Hand und Nägel an, denen ihr Vortrag galt. Sie sprach, als würde sie ihre eigenen Worte kaum begreifen, es war ein Vortrag, der wie auswendig gelernt klang:
    American Nails, das sei der Fachbegriff für ihre Nägel. Die hätte man, vereinzelt, auch schon zu Ostzeiten bekommen, heute gäbe es allein in Oberhavel an die zehn Nagelstudios, die fahrenden Studios seien da noch nicht mitgerechnet. Der technische Vorgang: Die Nagelplatte werde aufgeraut und ein Kunststoff aufgebracht. Zwei Techniken seien bei American Nails verbreitet, die Acryl-Methode und die Gel-Methode. Bei der Acryl-Methode werde das Pulver weich gemacht und auf den Nagel aufgebracht. Bei der Gel-Methode werde das Acryl mit UV – Licht ausgehärtet. Die Gel-Methode sei die beliebtere, weil preiswertere Methode.
    Die Fingernägel der Bedienungsfrau Maria, Haus Hei mat, Oberhavel: Heute trug sie rosaweiße Nägel, es waren feine, abwechselnd rosafarbene und weiße Streifen, hübsch anzusehen. Merkwürdig, gerade hatte sie, Maria, mir sehr gut verständlich alles erzählt, was es über künstliche Fingernägel zu wissen gab – ich war einst losgefahren aus Berlin, um alles über künstliche Fingernägel zu erfahren, und nun hatte ich es erklärt bekommen, und doch, so dachte ich, hatte ich das Entscheidende nicht erfahren, diese American Nails blieben ein Geheimnis, vielleicht würde ich abreisen aus der Kleinstadt, und das Geheimnis um die rosaweißen Fingernägel war nicht gelüftet worden.
    Und ich verstand, während Maria so entschieden schwieg, wie sie soeben ihren Vortrag gehalten hatte, das Allereinfachste, nämlich, dass es zwischen uns, zwischen Reporter und der Bedienungsfrau, das älteste und gewöhnlichste Problem gegeben hatte, das es zwischen Frau und Mann geben konnte, und es war natürlich alles meine Schuld: Ich hatte sie auf ihr sogenanntes Äußeres reduziert. Das kannte sie schon, das langweilte sie, sie wollte einfach nicht so platt angemacht werden. Sie, Maria, wünschte eine andere Behandlung. Ihre Distanz, ihre Ablehnung mir gegenüber, so verstand ich, während sie dieses winzige Lächeln lächelte und ihre Hand immer noch auf dem Tresen lag, war ihre Ablehnung meiner Taktlosigkeit, meiner Distanzlosigkeit gewesen. Für die Hygiene, erklärte Maria nun, seien diese Nägel nicht so optimal, ja, als Krankenschwester und im Gastronomie-Gewerbe seien lange Nägel sogar verboten. Sicher, dachte ich, vielleicht täuschte ich mich auch, vielleicht war alles auch noch mal ganz anders.
    Ich ging in den Lidl-Supermarkt, um mir dort die Kassiererin anzugucken, von der Raoul geschwärmt hatte: die mit den schwarzen Haaren. Die mit dem schwarzen

Weitere Kostenlose Bücher