Deutschboden
feucht-fröhlicher Runde Nazirock gehört: Bands wie Die Härte, Songs, die Zillertaler Türkenjäger hießen, deutsche Schlager also mit rassistischen Texten. In der Runde hatten auch die drei Sechzehnjährigen gesessen, denen die Tat später angelastet worden war. Die Polizei war davon ausgegangen, dass die Täter sich von der Musik hatten aufputschen lassen, weshalb die Ermittlung sich bald an der Frage aufhielt, wem die Kassette mit dem Nazirock gehört hatte, die im Kaiser’s-Treff gelaufen war. Es gab Hausdurchsuchungen, praktisch die ganze Stadt war in den nächsten Tagen verhört worden, auch Raoul. Rampa: »Ich weiß noch, wie wir bei Schröder saßen und sagten: Watt? Jüdischer Friedhof? Bis zu dem Ding wussten wir überhaupt nicht, dass wir hier einen jüdischen Friedhof haben.«
Raoul, kopfschüttelnd: »Es war eine dämliche Aktion. Vollkommen unnütz, da ein paar alte Grabsteine umzuschmeißen. Hat Oberhavel nicht gebrauchen können, so einen Scheiß.« Rampa erzählte – es war ein andermal im Proberaum – er habe sich heute, bei einem Ausflug nach Oranienburg, ein Hemd der als Nazifirma verschrienen Kleiderfirma Thor Steinar gekauft. »Ich weiß auch nicht, warum ich das gemacht habe«, erklärte Rampa, »ich musste das machen: aus Protest.« Das Gezeter um Thor Steinar, so Rampa, gehe ihm mittlerweile ziemlich auf die Nerven: »Wenn man sich mal bisschen erkundigt, wer dieser Thor Steinar war … das war überhaupt kein Nazi, das war ein Segler.« Rampa erklärte – er war eh schon sauer, und er hatte gerade Schwung –, er habe mit Raoul beschlossen, sie würden ab sofort nicht mehr Euro, sondern wieder Mark sagen, ganz gleich, was auf den Preisschildern draufstünde. Ein Bier kostete bei ihnen ab sofort nicht mehr 1,20 Euro, sondern wieder 1,20 Mark.
»Is’ ditt so?«, fragte Raoul.
»Ditt is’ so«, sagte Rampa.
»Watt soll denn das, bitte, sein, ein Euro?«, fragte Rampa.
»Wir leben hier in Deutschland, nicht in Euroland. Und in Deutschland bezahlt man mit der Mark.«
Es kam dann die Juniwoche, in der zeitgleich in Spiegel , Stern , Zeit und Süddeutsche Artikel über die Kultur der Schamhaarrasur, ein Relikt aus DDR – Zeiten, erschienen waren. Ich nahm allen Mut zusammen und fragte die vier im Proberaum anwesenden Jungs, ob das die Wahrheit sei, was in den Zeitungen geschrieben stand, nämlich,dass die ostdeutsche Jugend im Gegensatz zur westdeutschen Jugend am ganzen Körper, also auch rund um Penis und Hodensack, rasiert sei.
Raoul, Eric, Rampa und Crooner sahen sich an.
Eric prustete los.
Raoul fand als Erster die Sprache wieder: »Alles ist rasiert. Aber schon, seitdem ich fünfzehn bin.« Crooner: »Watt denn … und du hast da unten so eine richtig schöne Maurerkelle stehen oder was?«
Ich zog meinen Hut nach vorne in die Stirn; und schob den Hut wieder zurück; und wartete (die Runde einigte sich darauf, dass man ihm, dem armen West-Reporter, beizeiten eine Heißwachsbehandlung spendieren wollte). In den gesamten drei Monaten, in denen ich in Oberhavel war, hatte es keinen zweiten Moment gegeben, in dem der Abstand zwischen den Ureinwohnern der Kleinstadt und dem Reporter so ein gähnend großer gewesen war.
Das Konzert der Band 5 Teeth Less auf der 260-Jahre-Feier von Kurtschlag war ein Witz. Es regnete. Es kamen etwa zwanzig Zuschauer.
Rampa begrüßte das Publikum mit der Ansage: »Hallo, wir sind Rosenstolz«. Eric kopierte die Posen von amerikanischen Indie-Gitarristen am besten. Die Band war immer so gut wie die Begeisterung, die ihnen entgegenschlug. Crooner sagte zum Publikum, als gerade wieder niemand zur Bühne sah: »Ruhe da unten.« Und Rampa leitete den zweiten Set mit den Worten »Tach, wir sind Metallica« ein, die Band spielte ihre Hits und die Hits von Weezer und Blink 182, und die Jungs von der Tankstelle tranken eintausend Plastikbecher mit Bier aus und pogten, hechteten und hüpften vor der Bühne herum, dass es ein Freude war.
Als eines Nachts, ich saß allein im Auto, auf der Rückfahrt vom Proberaum nach Oberhavel das Schild »Deutschboden« links am Straßenrand auftauchte, wusste ich plötzlich, dass ich nun abbiegen und den Ort aufsuchen würde, den selbst die Jungs noch nie gesehen hatten. Ich trat auf die Bremse, lenkte den Wagen von der Straße herunter, rechts in den Wald hinein: ein Sandweg. Deutschboden 1 Kilometer.
Nach zwei, drei Minuten fuhr ich immer noch über den Sandboden. Rechts und links Kiefernwald. Der Weg
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