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Deutschboden

Deutschboden

Titel: Deutschboden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Uslar
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Spielsalon. Wir quatschten ein bisschen. Er sprach noch einmal seine Verwunderung und seine Freude darüber aus, dass ich einige Zeit bei ihnen in der Kleinstadt verbrachte, und dann brachte er die alte Nummer, dass er mich dazu beglückwünschte, dass ich ausgerechnet bei ihnen gelandet war: »Du hast wirklich Glück gehabt. Wenn du in einer Kleinstadt weiter im Norden gelandet wärst, dann hättest du nur Scheiße erlebt.« Ich freute mich ebenfalls und schüttelte ihm die Hand. Eine Stunde später traf von Crooner eine SMS bei mir ein: »Bald mal uf eene schöne Molle! LG. Crooner.«
     
    Und da sah ich plötzlich Pantau, den Penner, mit seinem lilarotgraubraunen Gesicht zwischen den uralten Vorhängen im Fenster über dem Salon am Markt hervorgucken. Irre. Das Fenster, das ich schon zwei Mal betrachtet hatte, obwohl kein Mensch daraus hervorgeguckt hatte, war sein Fenster, war das Fenster des Penners Pantau.
    Er trug das Hütchen, das er auch an seinem Arbeitsplatz, der Fahrradstange vor dem Getränkemarkt, auf dem Kopf trug. Pantau hatte ein Zuhause, das war schön. Er sah mich, er blickte gerade auf mich hinunter. Ich nickte. Ich tippte mir mit einem Finger an die rechte Augenbraue. Es sollte ein sachlicher Gruß sein, den er deshalb, eben weil der Gruß eine betont sachliche Note hatte, beantworten konnte. Ich hatte mir ein Nicken, sonst eine kleine Reaktion erwartet: Das wäre der Anflug von einem Kontakt, der Auftakt zu einer Beziehung zu Pantaugewesen. Es fand nichts statt. Der Penner guckte und grüßte nicht.
     
    Ich versuchte, noch weniger zu sehen und noch weniger zu denken. Mein Ideal, die Kür des modernen Reporters, war die, dass ich einfach nur da war, ganz ohne zu denken, ganz ohne einen Schluss zu ziehen.
    Was kam beim Denken schon groß heraus? Doch nur der immer selbe, uralte Mist, der alles immer nur aufs Neue vollkommen falsch verstand. Da besser: das Verstehen-wollen von Anfang an bleiben lassen. Mit Dämmeraugen, den trüben, halb geschlossenen, wollte ich hinblicken, und nur das wiedergeben, was sich an kleinen Bewegungen vollzog. Das im Kleinen genau beschreiben, was im großen Ganzen keinen Sinn ergab: finale Übung, mein Reporterglück.
     
    Dann, am Nachmittag des dritten Tages der von mir auf drei angesetzten Ruhetage – meine Ratlosigkeit, was an einem Ort wie diesem eigentlich zu tun war, was zu schaffen und was zu lassen, war akut die denkbar größte gewesen – erblickte ich es: das dicke Kind.
    Ich hatte mich auf einer der miesen, weil zum Sitzen ungeeigneten, weil merkwürdig gewellten Metallbänke niedergelassen, die am Marktplatz aufgestellt waren: rosa Rathaus im Rücken. Hinter mir lag außerdem der zentrale Marktplatz-Imbiss. Es stank, weil Imbisse alle stinken, nach Fett. Die Bänke waren in vier Gruppen à drei seitlich versetzte Bänke in die Pflastersteine eingelassen. Dazwischen, in Imbissnähe, eine noch mickrige, mit Metall eingefasste Eiche.
    Der Marktplatz wirkte von hier, im Sitzen betrachtet,groß. Die Geschäfte, die auf der anderen Straßenseite lagen, Schlecker, Apotheke, Alte Eiche, Asia-Bistro, Schlüssel-Gustrow und Schuhhaus Mielke, ergaben mit dem Rathaus und dem Kiosk einen viereckigen Raum. Die Ströme und Bewegungen des Einkaufens lagen, von meiner Metallbank aus beobachtet, gleich nebenan und doch wie hinter einer Glasscheibe.
    Ich saß, guckte und musste innerlich ein bisschen kichern, weil die Vorstellung so nahelag, sich jetzt, am helllichten Tage, ein Bierchen zu kaufen und den Tag, Schluck für Schluck, mit dem Bierchen in der Hand kippen zu lassen.
     
    Am Kiosk stand schon wieder so ein Superspezialist herum: keine 1,70 Meter groß, dick (Bauch) und dabei gleichzeitig dünn (Beine), Tarnkappe, Tarnweste, Billigjeans, 9,90-Euro-Turnschuhe, seit Jahren nicht gewaschene Fettsträhnen unter der Kappe, weggesacktes Gesicht. Er hielt, obwohl offensichtlich Alkoholiker, noch nicht mal eine Bierflasche in der Hand. Er stand da, mit verschränkten Armen, und guckte auf den Platz hinaus. Hängende Mundwinkel. Sonst null Regung. Guckte da: maximal stumpf, dumm, frustriert, grantig, sauer, hohl, behämmert und komplett erloschen in der Birne unter seiner Kappe hervor. Nach zehn Minuten stand er immer noch so da und guckte. Ich dachte: Alte Kacke, gehen mir die Penner, gehen mir die Alkoholiker, Hirntoten, Eingefallenen, Zusammengefallenen und sonst wie Hinüberen und Weggetretenen in diesem Ort auf den Sack.
    Auf einer der Bänke nebenan sah ich das

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