Deutschboden
ein, dass es gut möglich war,dass ich wegen meiner Bekanntschaft mit den harten Jungs von 5 Teeth Less eine Art öffentlichen Schutz genoss?
Raoul schickte eine SMS: »Das nächste Mal gehen wir mal richtig einen saufen. Das war ja neulich nüscht.«
An der Probstbrücke herumlungernd, machte der Reporter zum ersten Mal Touristen aus – und sah sie gleich mit den Augen des Einheimischen, mit den Augen von Raoul, Eric und Rampa: ein Pärchen auf Fahrrädern, im besten Frührentneralter, mit Langstrecken-Fahrradfahrer-Funktionskleidung, sie mit roten, er mit blauen Satteltaschen. Sie sahen sich, auf ihren Fahrradsatteln sitzend, unsere schöne Kleinstadt an. Hass. Ein Anflug übelster Fremdenfeindlichkeit beim Reporter:
Was wollt ihr hier in unserer schönen Kleinstadt, ihr Arschlöcher?
Geht dahin zurück, wo ihr hergekommen seid.
Am Getränkemarkt gegenüber von Schröder sah ich, tagein, tagaus, den Penner mit dem Cordhütchen auf dem Metallgeländer sitzen, mal den Säufer-Kollegen neben sich, mal ohne Säufer-Kollegen, Stoffbeutel zu den Füßen, Bierflasche in der Hand. Ich fragte Hansi, wer der Mann mit Cordhut sei, der da auf der anderen Straßenseite seine Tage versoff, und Hansi erklärte: »Ach, Pantau. Der war mal Lkw-Fahrer. Ist noch keine fünfzig. Hoffnungsloser Fall.«
Die Autos mit den »Pitbull Germany«-Heckscheiben.
Die wütenden Frauen mit ihren Kinderwagen.
Der Sportteil der Märkischen Allgemeinen .
Kegel-Kalle.
Kümmerling-Schmidti.
Heute-ein-König.
»Weil du so ein zärtlicher Mann bist/Will ich dich nicht verlieren/Weil du so ein zärtlicher Mann bist/Lebe ich so gerne mit dir.«
Das war Hanne Haller auf 99,9: Musik für Brandenburg.
Zwei Hackepeter-Brötchen 1,60 Euro.
In der Ferne konnte ich wieder den verrückten Soldaten mit der Schlagermusik von Heintje seine Runden drehen hören: »Mama. Du sollst nicht um deinen Jungen weinen …«
Es klang so geil.
Es klang so absolut durchgeknallt: ein Gruß aus einer ganz fernen Zeit.
Ich versuchte, den Alltag Alltag sein zu lassen und mir nichts weiter dabei zu denken.
Alltagsbetrachtungen aus dem Notizbuch des Reporters:
Ein Vietnamese reinigte eine Regenrinne mit einem an einem Stab befestigten Besen.
Ein etwa Vierzigjähriger mit komplett zerstörtem Gesicht (Alkohol), aber irgendwie trotzdem fröhlich, kam mir mit einer Gehhilfe auf Rollen entgegen. Auf seinem Sweatshirt stand »No Fear« (keine Erfindung).
Ein Junge, rauchend, geschätzte zwölf Jahre alt, nahm einen Jungen, rauchend, geschätzte zwölf Jahre alt, auf der Querstange seines Fahrrads mit. Es war ein friedlicher, dörflicher Anblick. Irgendwie eine schwarz-weiße Ansicht. DDR. Fünfzigerjahre.
Drei Mädchen auf Fahrrädern. Eine krähte: »Dem Altenseine Schwester, die ist so voll widerlich, pervers, kaputt, die Olle, die fiese, die alte, die beschissene Sau …« Hoppla.
Die Hausfrauen mit Körben an den Lenkstangen ihrer Fahrräder. Eisenharte Gesichter: Es waren Jahrzehnte der harten Arbeit gewesen, der Entbehrung, des Stumpfsinns und der trostlosen Was-man-nicht-haben-kann-das-sollman-auch-nicht-haben-wollen-Demut. Als Erstes, das sah der Reporter, fielen bei den Frauen immer die Gesichter zusammen. Mit billigsten Stoffen, Frisuren, Handtaschen versuchten diese Frauen, Jahrgang 1970 und älter, einen gewissen Standard des Gepflegtseins aufrechtzuerhalten. Das gelang. Und das sah dann immer gleich besonders traurig aus. Weil die Stoffe, die diese Hausfrauen sich leisten konnten, so elend billig waren, musste immer alles weiß, blitzblank gereinigt und auf Falte gebügelt sein.
Auf dem Marktplatz hielt ein gelber Laster. Das war Karls mobile Betten-Dampf-Reinigung. Werbespruch: »Wer jetzt klug rechnet, lässt öfter reinigen.« Am Tag drauf parkte an selber Stelle das rote Bürgermobil von Torsten Krause, Mitglied des Landtags für die Linke in Templin. Krause war so ein dufter Studententyp mit Britpop-Wuschelkopf-Frisur und dem unverbrauchten, frechen Gesicht, das in der Politik so dringend gebraucht wurde, geschätzte 28 Jahre alt. Sein Slogan lautete: »Original sozial, die Linke.« In der Nähe von Krauses Auto lehnte das Plakat mit einem wunderschönen Politik-Gedicht: »Freiheit und Gleichheit für alle braucht Solidarität. Kämpfen wir für wirkliche Gleichberechtigung. Für jede Frau und jeden Mann – gleich welcher Herkunft.« Bild – Leser hatten in diesen Tagen entschieden, dass Silvana Koch-Mehrin von der FDP das
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