Deutschboden
nackten Arme. Er nickte. Nickte noch einmal. Hörte gar nicht mehr auf zu nicken.
Speedy sagte: »Jut.«
Er trug das Brasilien-T-Shirt.
Er sprach, natürlich, ein astreines Brandenburgisch.
Ich fragte: »Was machst du denn immer so?«
Er sagte: »Wie?«
Ich wiederholte: »Na, was machst du denn den lieben, langen Tag?«
Speedy sagte: »Nüscht weiter. Ich fahre gerade ein paar Flyer für Franky’s aus.«
Es war ganz einfach gewesen, ihn anzuquatschen. Er hatte sofort endlos Zeit. Nur morgen war es schlecht, weil da ein Kumpel Geburtstag hatte. Ein Handy, so Speedy, habe er nicht. Aber bald, da habe er wieder eins. Speedy, strahlend: »Ich glaube, ich bin der einzige 21-Jährige in Oberhavel, der kein Handy hat.« Ich fand das nachvollziehbar und niedlich zugleich, dass ihm das so gute Laune machte, dass er kein Handy hatte.
Wir trafen eine merkwürdige Verabredung: den Dienstag nächster Woche um fünf Uhr nachmittags im Eiscafé. Irgendwie stellte sich das als der nächste Termin heraus, an dem er Zeit hatte.
Speedy: Junge, der nichts weiter machte.
Speedy: natürlich auch ein ausgebuchter Mann.
Dann hätte man weiterfahren können. In einem Anflug von Hektik aber fragte ich Speedy, ob er mir nicht jetzt gleich sein Zuhause zeigen wollte.
Er zuckte mit den Schultern: »Können wir auch machen.«
Er sagte natürlich: »Könn’ wa ooch mach’n.« Wir fuhren los, die Betonplatten in die Richtung hinunter, aus der ich gerade gekommen war.
Der Reporter versuchte, während unsere Räder nebeneinander über den Beton rollten, den Olympus-Stift in die Richtung von Speedy zu halten, nur für den Fall, dass er irgendetwas erzählte.
Dann brach das Unwetter herunter: Blitze, Donner, ganze Badewannenladungen von Wasser, die vom Himmel runterklatschten.
Wir bremsten, standen auf der Straße, sofort klatschnass. Er zeigte in seine Richtung, ich in meine Richtung. Wir versicherten uns noch einmal, dass wir es gut miteinander meinten. Dann fuhren wir los, jeder in seine Richtung.
Ich kam so nass, wie man nur sein konnte, und glücklich im Haus Heimat an. Es war schön, Reporter zu sein.
Die Bandprobe ließ ich sausen. Beim Boxtraining legte Trainer Maik Rammstein auf: Schattenboxen mit Ein-Ki-logramm-Hanteln. Am Wochenende, so erfuhr ich, würde der Club einen Ausflug zum Sparring nach Halle machen. Der Trainer gab jedem seiner Schützlinge bekannt, ob er dabei war oder nicht. Ich war natürlich nicht dabei.
Das Knie, das ich mir vor gut sechs Wochen in der Oderstadt Schwedt verdreht hatte. Ich schwitzte wie ein Schwein. Ich dachte noch mal, wie unfassbar asozial anstrengend, wie brutal schlauchend der Boxsport war. Ich spürte, wie ich schwitzend ein Kilo oder zwei abnahm. Ich war nicht gut. Aber immerhin, ich war einigermaßen locker.
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18 Präsidentenwohnung
Spandauer Straße gegen zehn Uhr früh – es war ein Mittwoch, Ende Mai. Dem Reporter war die Hauptstraße der Kleinstadt an diesem Morgen wieder besonders fies normal, aufgeräumt, herausgeputzt und hinterhältig schön erschienen. Komisch, aber je länger ich im Haus Heimat auf der Spandauer Straße wohnte, desto deutlicher sah ich, dass die Hauptstraße mit ihren bunten Geschäften ein Witz war. Ich hätte mich totlachen können – wäre es nicht ein trauriger Anblick gewesen. Die Kommerzwelt, die in der Großstadt so viele Jahre Stoff wunderbarer Mythen und Märchen gewesen war, hier war sie nichts anderes als ein armer, alter und abgehalfterter, der Gegenwart hoffnungslos hinterherhinkender, ein ausgedachter Scheiß.
Also schnell rein ins Schröder. Frühstück bei Schröder. Das immer gute Frühstück in diesem immer richtigen Lokal.
Tiger war auch da. Schwarze Fliegerjacke, wie immer. Da stand er, mit der Bierflasche durchs Lokal winkend, und erzählte irgendeinen großartigen, hanebüchenen Kram. Die Vor-Zwölf-Gemütlichkeit im Schröder. Dudel-Dudel. Pling-Pling. Gröl-Gröl.
Die Kümmerlinge, das verstand ich heute erst, wurden vor dem In-den-Hals-Schütten mit dem Fläschchenboden auf die Theke gehauen. Warum? War so. Besser einfach: merken.
Die leeren Kümmerling-Fläschchen warf Hansi in den für leere Kümmerling-Fläschchen vorgesehenen Eimer.
Ein Sport unter Schröder-Frühstücks-Rentnern war es, sich zu erzählen, wie die Kneipe früher, also vor dreißig Jahren, ausgesehen hatte: Hier stand die Theke. Da war der Eingang. Die Wand vorne hat es früher nicht gegeben, dafür ist man dann immer dort und da
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